Der Tassbergmann
Auf jener Anhöhe gegenüber der Hohrüti am Abhang des Pfannenstiels oberhalb von Wetzwil, stand vor vielen Jahrhunderten das Tassberger Schloß. Da wohnten einst „untrüüli Hagherre“. Sie waren der Schrecken der Bauern, indem sie ihnen Rosse und Stiere stahlen, die Felder schändeten beim Jagen, und wenn sich die aufgebrachten Landleute wehrten, wurden sie umgebracht. Der Böseste von allen war der letzte, der es so arg trieb, dass in seiner Umgebung nur noch Elend und Not herrschte. Doch eines Tages wurde er niedergeschlagen und sein Schloss verbrannt. Keine Spur ist mehr davon zu sehen.
Aber wenn man gemeint hatte, nun kehre der Frieden ins Land ein, so hatte man sich getäuscht. Denn der Bösewicht konnte im Grabe keine Ruhe finden. Wie ein Schatten schleicht er an den Orten seiner Sünden herum. Immer noch trägt er seinen glitzernden Schild und den Helm und steckt im Harnisch. So sitzt er auf einem schneeweissen Schimmel, den er mit goldenen Sporen zum Galopp durch den Dachsberg treibt. Einen goldenen Strähl trägt das Ross und ist mit silbernen Schienen und Sprangen geschützt. „Hupp Hupp hee! Hupp hupp hee!“ ruft das Gespenst hohl und heiser, klemmt seinen langen Spiess unter den Arm und rast in der Gegend des Rüthihofs umher. Manchmal hört man auch unter dem Giigerrain, wo ein unterirdischer Gang sein soll, nachts Musik, Lärm und Tanz.
Einmal musste noch tief in der Nacht ein Knecht hier vorbei. Er trug eine Laterne bei sich, um den Weg besser zu finden. Just als es in Wetzwil zwölf Uhr schlug, trat er über den Schlossplatz. Plötzlich löscht ihm die Laterne aus, obschon sich kein Lüftchen bewegte. Da fiel ihm ein, das könnte der Tassbergmann getan haben. Überlaut rief er: „Tassbergmaa, Tassbergmaa, zünd mer mii Laternen aa!“
Aber wohl, das hatte er nicht umsonst gerufen. Schnaufend schneuzte der Schimmel gegen ihn los, und darauf sass mit eingelegtem Spiess der Tassbergmann. Das Knechtlein lief davon, was es aus den Beinen brachte, aber der Geist erwischte ihn und verleidete ihm das Foppen. Heim kam der Bursch noch und konnte noch ein paar Worte reden. Dann starb er in grosser Angst und Not.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Gedicht von Eduard Schönenberger in „Goldene Zeit“, in Prosa umgesetzt. Corrodi, JZ 1951/52, S. 325. - Tassberg = Dachsberg.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.