Das heilig Stüdli
Auf einem Hügel am Zürichsee, am Wampisbach, steht ein morscher Pfahl, ein Überrest von einem alten Kreuze. Hier soll sich Folgendes begeben haben: Zwei Brüder sprachen diesen, einer armen Witwe gehörenden Platz als ihr Eigentum an. Der eine schwur mit erhobenen Fingern: „Ich stehe auf meinem eigenen, wohlerworbenen Grunde!“ Der andere bezeugte: „So wahr mein Richter und Schöpfer über mir ist“.
Das hörte die arme Witwe, und sie bat Gott, er möge diese Brüderpaar, das einen falschen Eid geschworen, dafür strafen. Dem Richter fiel ein Schiedsspruch schwer. Da zuckte plötzlich ein Blitz vom Himmel und erschlug beide Brüder im Angesicht einer grossen Menge. Die Meineidigen sanken nieder, und sterbend konnten noch beide ihren Frevel bekennen. Der eine beichtete, er habe unter dem eigenen Grunde die Gartenerde verstanden, die er in seine Schuhe getan; der zweite gestand, er habe in seinem langen Haar einen Kamm (in der Volkssprache Richter „Durerichter“) und einen kleinen Löffel (= Schöpfer, „Useschöpfer) verborgen, und bei „Richter“ und „Schöpfer“ habe er geschworen.
So hatten sie die Wahrheit zu verdrehen gesucht. An der Stelle, wo Gott gerichtet, hatte man ein Kreuz hingesetzt. Und da, wo die Brüder gestanden, wächst weder Gras noch Kraut. Auch will man dort Geister wandeln gesehen haben.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Wörtlich aus Corrodi, JZ 1951/52, S. 322.
Wampisbach (zürichdeutsche Variante der Küsnachter), heutige Schriftform Wangenspach, Quartier des Dorfes Küsnacht.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.