Der Rappe des Komturs
Herr Konrad Schmid legt’ um die Wehr,
Man führt’ ihm seinen Rappen her:
„Den Zwingli lass ich nicht im Stich,
Und kommt ihr mit, so freut es mich.“
Da griffen mit dem Herren wert
Von Küssnach dreissig frisch zum Schwert:
Mit Mann und Ross im Morgenrot
Stiess ab das kriegsbeldadne Boot.
Träg schlich der Tag; dann durch die Nacht
Flog Kunde von verlorner Schlacht.
Von drüben rief der Horgnerturm,
Bald stöhnten alle Glocken Sturm,
Und was geblieben war zu Haus,
das stand am See, lugt’ angstvoll aus.
Am Himmel kämpfte lichter Schein
Mit schwarzgeballten Wolkenreihn.
„Hilf Gott, ein Nachtgespenst!“ Sie sah:
Es drohend durch die Fluten nahn.
Wo breit des Mondes Silber floss,
Da rang und rauscht’ ein mächtig Ross,
Und wilder schnaubt’s und näher fuhr’s…
„Hilf Gott, der Rappe des Komturs!“
Nun trat das Schlachtross festen Grund,
Die bleiche Menge stand im Rund.
Zur Erde starrt’ sein Augenstern,
Als sucht’ es dort den toten Herrn…
Ein Knabe hub dem edlen Tier
Die Mähne lind: „Du blutest hier!“
Die Wunde badete die Flut,
Jetzt überquillt sie neu von Blut,
Und jeder Tropfen schwer und rot
Verkündet eines Mannes Tod.
Die Komturei mit Turm und Tor
Ragt weiss im Mondenglanz empor.
Heim schritt der Rapp’ das Dorf entlang,
Sein Huf wie über Grüften klang,
Und Alter, Witwe, Kind und Maid
Zog schluchzend nach wie Grabgeleit.
Conrad Ferdinand Meyer
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Aus Conrad Ferdinand Meyer, „Gedichte“. Konrad Schmid war der letzte Komtur der Johanniter zu Küsnacht. Er fiel in der Schlacht bei Kappel zusammen mit seinem Freunde Zwingli. Schmid gilt als einer der eifrigsten Förderer der Reformation. Nach der Aufhebung der Komturei machte man das Haus zum Verwaltungsgebäude. Seit 1834 beherbergt es das zürcherische Lehrerseminar. Im September 1957 ehrte die Gemeinde Küsnacht das Andenken Komtur Schmid und liess am Seminargebäude eine Inschrift anbringen.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.