Des Scharfrichters Speise
Als Becken Rägelis Grossmutter (Siehe: Die Zauberspeise) nicht mehr Kindermädchen gewesen sei, kam sie in Dienst zum Scharfrichter in Zürich. Sie habe aber lange nicht gewusst, dass ihr Herr ein Scharfrichter sei, bis sie ihm eines Tages einen weiss und blauen Mantel und eine blutrote Weste habe abbürsten müssen. Währenddessen habe der Dienstherr zwei grosse, breite Schwerter geschliffen und gewetzt. Da sei ihr zum Sterben angst geworden, und erst da, als ihr die Frau gesagt habe, morgen müsse ihr Herr ein junges Meitli köpfen, es sei erst siebzehn Jahre alt und schön wie ein Engel, erst da habe sie gewusst, wessen Handwerks der Mann sei. Das Meitli habe gestern, erzählte die Frau weiter, vor ihm angehalten, er solle es doch nicht hinrichten. Nun mache es dem Scharfrichter schwer zu schaffen.
Jetzt sei aber noch der Scharfrichter von Bern. Der sei ihrem Mann feindlich gesinnt und könnte ihm wohl einen Possen spielen. Ihr Mann habe vor einigen Wochen auch einen dreizehnjährigen Buben hinrichten müssen; da sei es ihm auch so schwer gewesen. Es sei ihm aber noch gut gegangen; er habe den Buben in einem Streiche getroffen.
Am andern Morgen habe der Scharfrichter der Magd ein Beckeli voll Suppendünkli in die Küche gebracht und gesagt, sie solle ihm Fleischbrühe dranschütten, aber bei Leib und Leben nicht davon essen. Leider habe sie nicht anders können und habe nur ein wenig davon versucht. Da sei sie bald nachher halb wütend geworden und hätte immer jemanden den Kopf abschlagen sollen. Der Scharfrichter habe dann gesehen, dass es gefehlt habe. Hurtig sei er gegangen, habe einen Güggel geholt, den habe sie müssen köpfen und da hab’s im Augenblick gebessert. Aber da habe ihr der Scharfrichter gottsjämmerlich den Marsch gemacht.
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Wörtlich aus Stutz, S. 75.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.