Gründung des Fraumünsters
Nicht weit von Zürich, am Albis, stand ein altes, herrschaftliches Schloss, die Baldern. Da wohnte Ludwig, ein König des Frankenreiches. Der hatte zwei Töchter, Hildegard und Berta. Die dienten Gott Tag und Nacht. Aus Gnade sandte ihnen Gott einen schönen Hirsch, der zwei brennende Lichter auf seinem Geweih trug und ihnen allemal von der Burg bis in die Au zwischen dem See und der Aa voranleuchtete. Da stand eine Kapelle. in der sie ihr Gebet verrichteten.
Das währte eine Zeit; da ward ihrem Vater, dem König Ludwig, kund getan, dass die Töchter nachts allein miteinander von der Burg weggingen, und niemand wüsste wohin und was sie täten. Der König traute aber den Töchtern wohl und hielt sie für fromm. Deshalb hielt er ihnen die Sache nicht vor, aber er hatte selbst acht darauf. Als sie einst an jenen Ort beten gingen, folgte er ihnen und sah ihr Tun und Lassen, tat aber ihnen gegenüber nicht dergleichen . . . und besann sich, was zu tun wäre. Dann berief er seine Töchter und sprach: „Liebe Kinder, ihr seid nun zu eueren Tagen und mannbaren Jahren gekommen. Könige und Herren werben um euch. Ich beqehre eueren Willen zu kennen, damit ich den Werbern antworten kann.“
Da antworteten sie beide: „Wir haben uns verpflichtet, Gott zu dienen und haben ihm unsere Keuschheit gelobt. Darum bitten wir, du wollest uns dazu beholfen sein. Wir begehren nicht mehr als leibliche Nahrung, denn wir sind willens, Gott und nicht der Welt zu leben.“
Nun war König Ludwig gar ein frommer Herr und fragte sie, wo sie ihr Leben begehrten zu beschliessen, und sie antworteten: „An dem Ort. wo die Aa aus dem See rinnt‚ wo wir immer gebetet haben: Darauf schaute er sich die Stätte an, aber der Platz passte ihm nicht. Das verstanden die würdigen Töchter so, dass sie den rechten Ort von Gott er?ehen sollten. Nun vertieften sie sich Tag und Nacht in ihr Gebet, bis er sie erhörte und ein grünes Seil vom Himmel herabsandte. Das legte sich als ein Ring auf die Hofstatt, und der König sah und merkte, wie gross das Gebäude werden sollte . . . Also ward das würdige Gotteshaus angefangen zu bauen . . .
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Nach Brennwald I, 81, ins Neuhochdeutsche übertrage, sonst unverändert.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.