Felix und Regula
Unter dem römischen Kaiser Diokletian herrschte eine grausame Christenverfolgung. ln dieser Verfolgung wurden Mauritius, Exeporius, Candidus und Viktor, die vornehmsten der Thebäischen Legion, auf das Geheiss des Maximian in Gallien bei der Stadt Sitten im Wallis mit 6666 Rittern christlichen Glaubens wegen gemartert.
Diese Märtyrer stammten aus dem Orient und einer edlen Stadt Ägyptens, die am Nil gelegen; sie waren vom Bischof von Jerusalem getauft worden. Und da diese Ritter kriegserfahren, tugendreich, edel‚ im Glauben aber noch edler waren, wurden sie von Maximian. dem Mitregenten des Kaisers, nach Gallien gegen den dortigen Aufstand zu Hilfe gefordert. Als er sie aber gegen die Christen sandte mit dem Befehl, den Göttern zu opfern, taten sie das nicht, und er gebot, sie an verschiedenen Orten und mit mancherlei Marter zu töten und je den zehnten zu enthaupten. Mauritius, ihr Heerführer, munterte die andern auf, bei ihrem Glauben zu bleiben. Sie legten die Waffen nieder und opferten sich Gott.
Nun begab es sich, dass die heilige Jungfrau Sankt Regula ihrem Bruder Felix, der einer der Thebäiscben Legion war, aus Ägyptenland und der Stadt ihrer Geburt in schwesterlicher Liebe nachfolgte. Aus Vorsehung Gottes des Allmächtigen trug es sich zu, dass viele dieser Laien abgesondert und nicht getötet wurden, wie Salvador, Adventer, Constantius, Vlctor, Ursus, Felix, Exuperantius, Regula, Verena und andere. Die nahmen es auf sich, den Christenglauben auszubreiten.
Also zogen die Geschwister Felix und Regula mit ihrem Diener Exuperantius, der ein alter Mann war, durch das Hochgebirge und kamen in die wllde Wüste Clarona, welche jetzt das Land Glarus ist, damals aber gar rauh und unbebaut war. Sie zogen darnach der Linth nach bis an den Zürichsee, dann den See hinab bis an dessen Ende, wo die Aa beginnt. Da trafen sie auf das alte und stolze Schloss Thuricum und beide Städte, . . . die zu jener Zeit sehr klein waren . . . Aus Schickung Gottes wählten sie diese Gestade zu ihrem Wohnorte und fingen an, gleich oberhalb des Schlosses . . . kleine Hüttchen zu bauen, da, wo die Wasserkirche jetzt steht. Hier vollbrachten sie gute Werke, fasteten, beteten, verkündeten das Wort Gottes und waren somit die ersten, die den Christenglauben in diesem Land predigten.
Nachdem Sankt Mauritius und seine Gefolgschaft durch Gottes Willen die Krone der Märtyrer erlangt hatten und etliche davon dem Wüterich Maximian entgangen waren, setzte sich dieser in den Kopf, die Geflohenen auch zu töten und die Christen ganz zu vertilgen. Er gebot . . . seinem Landvogt Decius auf dem Schlosse Thuricum, . . . das da stand, wo der (Linden-) Hof ist und in der kleinen Stadt Zürich liegt. dass er alle Christen, wo er sie finden möchte, gefangen nehme und sie zwinge, den Göttern zu opfern. Und wenn sie das aus Ungehorsam nicht täten, solle er sie mit den grässlichsten Martern verderben. Decius . . . schickte seine Diener an den Ort, . . . da die lieben Heiligen sich aufhielten, damit sie ihm gefangen überantwortet würden.
Als nun die Schergen des Wüterichs zu der Wohnung der lieben Heiligen kamen, fanden sie diese beim Gebet vor dem Mittagessen bei einem Brunnen, der dieser Zeit (Brennwald: um 1500) unter dem Altar in der Wasserkirche eingefasst ist und daher der heilige Brunnen genannt wird. Und dass Gott die Seinen nicht verläßt. bewies er ihnen mit seiner Gnade und schlug die Schergen mit Blindheit, dass sie die lieben Heiligen nicht erkennen mochten. Als Sankt Felix dies bemerkte, sprach er zu seiner Schwester Regula: „Siehe, die Zeit unseres Heils ist gekommen, unser Gott und Schöpfer will uns heimsuchen, das sollen wir gutwillig annehmen und uns den Häschern zeigen, damit wir die Krone der Märtyrer erlangen.“ Nun baten Felix, Regula und ihr Knecht Exuperantius mit ausgebreiteten Armen Gott den Allmächtigen, dass er durch seine . . . Barmherzigkeit ihnen seine Gnade mitteilen wolle, damit sie mit Geduld . . . die Marter ertragen und ihr Leben enden möchten. Sie erhoben sieh vom Gebet und zeigten sich denen, die sie suchten.
Als nun die auserwählten Diener Gottes . . . gebunden . . . vor den Richter Decius . . . geführt worden waren. hub er . . . an: „lch habe vernommen, dass ihr Christen . . . seid, die wegen Verschmähung der Götter und des Römischen Reiches mit Todesstrafe verfolgt werden. Ich will von euch wissen. ob dem so sei!“ . . . Felix sprach: „O Decius, wir bekennen uns als Christenleute und bejahen auch diesen Glauben!“ Decius antwortete: „Wenn ihr den unsterblichen Göttern opfert, mögt ihr am Leben bleiben!“ Aber die lieben Heiligen gaben zur Antwort: „Wir opfern nicht und beten deine Abgötter nicht an. Du und alle, die sie verehren, werden für alle Ewigkeit tot sein und ohne Ende gepeinigt werden.“ Darauf schwur Decius bei den grossen, unsterblichen Göttern: „Sofern ihr dem Gotte Jupiter nicht opfert, so will ich euch mit allerlei grausiger Pein martern!“ Darauf antworteten die Ritter Gottes: „Du hast unseren Leib in deiner Gewalt, damit magst du tun nach deinem Willen und Gefallen, aber unsere Seelen stehen in der Hand ihres Schöpfers; denen kannst du keinen Schaden zufügen!“
Ob dieser Rede erzürnte der Wüterich und liess die lieben Heiligen vor das Schloss auf die Hofstatt führen, da das Frauenkloster Ötenbach später stand. In der Ecke, wo Sihl und Limmat zusammenfließen, Sihlbühl genannt, wurden sie nackt ausgezogen, an grosse Säulen gebunden, mit Ruten, Peitschen und eisernen Stäben so lange geschlagen, bis vom Scheitel bis zu den Fusssohlen kein ganzes Stück Haut mehr an ihnen hing und das Blut überall von ihnen floss. Nachher ließ er sie . . . wieder in den Kerker führen und warten, bis er sich bedacht, was er mit ihnen weiter vornehmen wolle . . .
Nun ist zu wissen. dass der Wüterich die drei an solchen Orten martern liess, dass er von seinem Schloss aus zuschauen konnte; und je grösser die Pein und Marter war, desto mehr Freude und Wollust hatte er daran und meinte damit, seinen Göttern zu dienen. Also liess er die lieben Heiligen wieder vor sich bringen und sprach: „Ich weiss, dass ihr aus Unwissenheit wider mich geredet und gehandelt habt. Darum erbarmt ihr mich, und wenn ihr die unsterblichen Götter Jupiter und Merkur anbetet und ihnen opfert, will ich euch verzeihen … Wenn ihr aber das nicht tut, so schwöre ich bei den grossen Göttern und der Milde des Kaisers Maximian, dass ich euch in grosse Kessel voll Öl setzen und darin versieden lassen will.“
Er liess darauf das Feuer anzünden und im Schloss alle Marterwerkzeuge vorbereiten, und dies angesichts der Heiligen, was gar schrecklich war. Da riefen diese Gott an und sprachen: „Allmächtiger Gott, sei unser Beschirmer und Helfer, und wir fürchten nicht, was uns der Mensch zufügt!“’ Darauf antwortete Decius: „Jetzt betet meine Götter an, oder die Pein wird an euch vollbracht!“ Sie aber sagten: „Du törichter Mensch, der du dem Teufel und dem Feind des menschlichen Geschlechts Opfer und göttliche Ehre entbietest und den Schöpfer aller Dinge verfolgst, kehr dich ab von dieser Blindheit und bekenn dich zu Gott dem Allmächtigen, für den wir bereit sind, alle Marter und Pein zu erdulden.“
Aber der Wüterich war so verschlossen und blind, dass er dieser Worte nicht achtete. Er liess den dreien die Kleider ausziehen und sie in das siedende Öl setzen. Und als ihnen aus göttlicher Gnade das Feuer und die Hitze des Öls keine Gewalt antun konnte und sie Gott Lob und Dank sagten, liess der Wüterich Blei und Pech schmelzen und es ihnen eingiessen. Aber er konnte ihnen damit auch nicht schaden. denn sie überwanden alles mit Gottes Hilfe. Darauf liess er sie wieder in den Kerker führen und abermals warten, bis er eine noch schrecklichere Marter ausgedacht hatte.
Diese Marter haben die lieben Heiligen im Schlosse Thuricum gelitten; an dieser Stelle wurde später vom christlichen Landvogt eine Kapelle . . . erbaut. Dann liess Decius etliche Räder aufrichten, die voll scharfer . . . Messer steckten und so eingerichtet waren. dass je zwei mit ihrer Schneide gegeneinander liefen, weil das eine aufwärts und das andere abwärts getrieben wurde. Damit gedachte er. die Heilige in Stücke zu zerreissen oder vom rechten Glauben abzudrängen.
Als sie nun dieses grausige . . . Marterwerkzeug vor sich sahen. setzten sie all ihre Hoffnung und Trost in Gott, der die nicht verläßt, die ihn mit Ernst anrufen. Gott sandte augenblicklich auf den Marterplatz seinen Engel, der mit einem ungestümen, grässlichen Wind und Donnerschlag diese Räder und alles, was zur Peinigung hätte dienen sollen, zerschlug und verbrannte. Also überstanden sie abermals den Wüterich . . . In großem Zorn und Grimm liess er sie wieder in den Kerker legen. Dies ist geschehen nicht weit vom Schloss auf der Hofstatt, da später die Kirche zu St. Stefan vor der kleinen Stadt stand, die vormals St. Ciryaconkirche genannt wurde. Das war die erste Pfarrkirche seit es hier Christen gibt.
Darnach liess Decius die würdigen, lieben Heiligen vor sich kommen und sprach: „Wann steht ihr von eurer Torheit ab. die ihr beharret in euerem Unglauben? Gehorcht mir und gebt euer Opfer den lebendigen Göttern, so will ich euch leben lassen; ihr seht, dass sie auf meiner Seite sind. und dass ich mit ihnen reden kann. Das, was sie mich heissen, das tue ich. Aber ihr sagt, euer Gott habe Tod und Matter gelitten. und ihr schreit . . . zu dem toten Gott. Der gibt euch keine Antwort und lässt sich nicht sehen; nichts desto minder beharret ihr in der Blindheit!“ Da riefen die auserwählten Diener Gottes zu Gott auf, begehrten Gnade, Barmherzigkeit und Geduld, da8 sie die Marter ertragen . . . möchten.
Decius versuchte sie wieder vom Glauben abzubringen und redete: „Wohlan, dieweil ihr alle Marter verachtet, will ich euch in einen dunkeln Keiler legen, dass euch euer Leben so peinvoll sein soll, dass ihr mir doch noch gehorcht.“
Die Heiligen sprachen: „Unser Leib und Leben steht im Schirm Gottes, unseres Bewahrers. Was du uns magst zufügen, wollen wir . . . willig tragen.“ Als der Landvogt sah und hörte, dass er überwunden war und er sie keineswegs zum Abfall bewegen konnte, sass er zu Gericht und . . . urteilte: Felix, Regula und Exuperantius von der Schar und Gesellschaft des Mauritius, Schmäher der Götter, Zerstörer des rechten Glaubens, widerspenstig und ungehorsam dem Römischen Reich, sollen mit dem Schwert vom Leben zum Tode gerichtet werden!
Alsobald wurden sie von Henkern und Schergen gebunden und an den Ort, wo sie gefangen worden waren. hingeführt. Das war da, wo jetzt die Wasserkirche steht. Und als sie auf die Malstatt kamen, huben sie an, Gott Lob und Dank zu sagen für die grosse Gnade. die er ihnen erwiesen und auch dafür, dass er sich jetzt mit ihren Martern begnüge und sie dafür belohnen wolle. Nachdem sie ihr Gebet verrichtet hatten, hörte man vom Himmel eine Stimme: „Kommet her, ihr Gesegneten und empfanget das Reich, das euch von meinem Vater vom Anfang der Welt an bereitet ist.“ Dann neigten sie ihre Häupter gegen die Erde und empfingen den Todesstreich. Damit hatten sie ihre Marter vollbracht und die Krone der ewigen Seligkeit erlangt.
Als die auserwählten Heiligen Gottes . . . ihre Seelen Gott geopfert hatten, . . . nahmen die toten Körper ihre ahgeschlagenen Häupter, trugen sie von der Malstatt am Wasser . . . mit den Händen an ihre Brust gedrückt, auf die nächste Anhöhe . . ., legten sich, alle drei nebeneinander und wählten diese Stätte, um hier zu ruhen. Sie wurden von Christen, die sich heimlich bekehrt hatten, heimlich begraben. Dies geschah, als man zählte von der Geburt Christi 312 Jahr und von der Erbauung der Stadt Rom 1063 Jahr. Die seligen Märtyrer blieben in ihrem bescheidenen Grabe liegen bis zur Zeit des grossen Kaisers KarL
Quelle: K. W. Glaettli, Zürcher Sagen 1970, Stadt Zürich und Zürichsee
Nach Brennwald I, 72, ins Neuhochdeutsche übertragen, sonst unverändert.
Eine bildliche Darstellung der Legende aus den 14./15. Jahrhundert ist auf 7 Ölgemälden erhalten, die sich im ChristlichenMuseum in Gran (Ungarn) befinden (Photo im Landesmuseum).
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.