In einem einsamen Waldwinkel lebte der Schnetzer Jos mit der Frau und einem eben erwachsenen Sohne, der, so jung er noch war, schon eine Liebste hatte drüben über der Rhone, zu der er jeden Samstag abend zu Lichte ging. Die Eltern verlangten, dass er sich das Mädchen aus dem Kopfe schlage, aber da der Bursche nicht von ihr lassen konnte, drohte ihm der Vater mit dem Teufel, wenn er nochmals über die Rhonebrücke ins Haus des Mädchens gehe. Der Sohn erwiderte, vor dem Teufel fürchte er sich so wenig wie vor dem Tod, und von dem Mädchen lasse er nicht.
Der Vater aber war nicht einer von denen, die einem Sohn, dem kaum der Flaum am Kinne sprosst, den Willen lassen. Er holte im Stalle zwei Bockshörner, verkleidete sich als Teufel und lauerte bei einbrechender Nacht vor der Rhonebrücke auf den starrköpfigen Sohn. Es ging auch nicht lange, so kam dieser schon eiligen Schrittes daher, ohne eine Ahnung zu haben von dem, was der Vater vorhatte. Der Vater aber pflanzte sich mitten in den Weg und neigte den Kopf nach vorn, so dass die beiden schwarzen Hörner gar furchtbar drohend aussahen. Der Sohn blieb stehen und rief ihn dreimal an. Da er keine Antwort erhielt, ergriff er einen grossen, kantigen Stein, schlug den Teufel nieder und setzte den Weg fort. Er mochte an diesem Abend aber nicht lustig sein, blieb nicht lange bei der Liebsten und machte sich bald wieder auf den Heimweg. Beim Ausgang der Brücke lag die schwarze, unförmliche Teufelsmasse immer noch regungslos am Boden. Er warf einen scheuen Blick darauf, ging schweigend vorüber und fragte zu Hause sofort nach dem Vater. Die Mutter erschrak und sagte, er werde ihn wohl gesehen haben, er habe sich als Teufel verkleidet und sei auf die Brücke gegangen, um ihm Furcht einzujagen.
«Dann habe ich den Vater erschlagen», jammerte der Sohn und schluchzte laut auf. Noch am selben Abend holte man den Toten, und der Sohn stellte sich tags darauf dem Gerichte.
Die Richter urteilten, wenn er ein so kecker Mann sei und sich nicht einmal vor dem Teufel fürchte, so wollten sie ihm zur Sühne eine Strafe erteilen, die seinen Mut auf die höchste Probe stellen werde. Sie befahlen ihm, des Nachts durch den Arbenwald zu gehen, aus dem noch niemand lebend herausgekommen sei. Wenn er Glück habe und sich mit heiler Haut durchschlage, so sei er ohne weiteres freigesprochen. Der Sohn sagte, er sei mit jeder Strafe zufrieden, wenn er damit nur die böse Tat sühnen könne; ein Gang durch den Arbenwald sei ihm schon recht, er hoffe, die Waldteufel werden ihn dann ein bisschen martern. Er erhielt die Erlaubnis, eine Stola umzulegen, eine gesegnete Kerze und ein Buch in die Tasche zu stecken, worauf er ohne die geringste Furcht in den Wald hineinschritt.
Bald umgab ihn pechfinstere Nacht; nicht ein einziges Sternlein glitzerte am Himmel. In dem stämmigen Hochwald rauschte und flüsterte es wie in jedem andern Walde. Nachtfalter schwirrten vor seinen Augen und streiften Wange und Nase, Glühwürmchen funkelten, ab und zu huschte eine Fledermaus über ihn weg, und ein betäubender Blumenduft berauschte ihn. Bald verschwand der Weg, und er musste sich mühsam durch allerlei Wildwuchs und Gestrüpp durchtasten. Er stolperte auch etliche Male über Tannengewurzel und dachte eben, Mitternacht müsse heranrücken, als sich das Dickicht hellte und er ganz in der Nähe ein Licht aufblitzen sah. Er hielt auf dasselbe zu und glaubte, jetzt komme er aus dem Wald heraus und die Gefahr sei vorüber, als er plötzlich vor einem grossen, matt erleuchteten Palaste stand, der aus dem schönsten Arvenholz gezimmert war. Die hohe Flügeltür war mit Silber beschlagen, und es nahm ihn wunder, wer wohl in diesem schönen Waldhause wohnen möchte. Da die Tür verschlossen war, klopfte er an, nicht mit dem Finger, sondern mit der geballten Faust. Doch niemand kam, ihm zu öffnen. Er klopfte ein zweites und ein drittes Mal und immer stärker; nun flog die Pforte auf, und er konnte eintreten. Kein Mensch kam ihm entgegen, und er stand schon wieder vor einer Tür, wo er abermals dreimal anpochen musste, bevor sie sich öffnete, dann vor einer dritten, die beim ersten ungestümen Klopfen nachgab und sich leise aufschloss. Er sah in einen düstern, altmodischen Saal hinein, in dem ein einziges Lichtlein eine matte Helle verbreitete. Der Saal war dürftig ausgestattet. In der Mitte stand ein Tisch und daneben ein Stuhl. Auf dem Tisch bemerkte er eine Flasche Wein, Käse und Brot. Er setzte sich auf den Stuhl, zündete seine Kerze an, schob den Teller mit den Speisen zurück, schlug sein Buch auf und las darin. Er hatte seine Sinne aber nicht bei den Buchstaben. Er las immer dieselbe Seite herunter, ohne etwas zu verstehen und dachte an ganz andere Dinge. Er war gespannt, zu erfahren, was jetzt wohl mit ihm geschehen werde. Von Zeit zu Zeit schaute er zurück, ob nicht jemand hinter ihm stehe, aber er erblickte nur die vier düstern Wände des Saales, und kein Laut durchdrang die Stille.
Auf einmal klopfte es an die Tür. Er zuckte zusammen, rührte sich aber nicht und schwieg. Man hat mir auf mein Klopfen auch keinen Bescheid gegeben, dachte er und blickte starr nach der Tür. Beim dritten Klopfen flog sie unter furchtbarem Krachen auf. Durch den Palast ging ein Zittern, die Kerze flackerte, drei kohlschwarze Riesen erschienen, stellten sich vor ihm auf, ohne ein Wort zu sprechen, und winkten ihm, zu folgen. Die Riesen begleitete ein hässlicher, schwarzer Hund, in dessen Augen ein Feuer zu brennen schien, das in einem fort die Farbe wechselte, bald rot aufglühte, bald grünlich leuchtete. Der Bursche dachte, hier könne er doch nicht bleiben und stand auf. Aber der Hund gefiel ihm nicht. Er zog rasch die Stola aus und band die Bestie am Tischbein fest. Dann empfahl er sich seinem Schutzgeiste und folgte den Riesen die lange Treppe hinunter in eine unterirdische Gruft.
Dort angelangt, ergriffen sie Pickel und Schaufel, die bereit lagen und gaben ihm ein Zeichen, mit dem Werkzeug zu arbeiten. Er aber wehrte sich und sagte: «Ich habe hier nichts eingegraben und werde nichts ausgraben!» Da griff der erste der Riesen selber zum Pickel und lockerte mit kräftigem Schwunge die Erde. Der zweite nahm die Schaufel und deutete ihm, die aufgelockerte Erde wegzuschaufeln. Er aber sagte: «Ich habe hier nichts eingescharrt und werde nichts ausscharren!» Da setzte der Riese selbst das Werkzeug an, und nun kamen grosse, schwere Steinplatten zum Vorschein. Der dritte deutete ihm, die Platten zu heben. Er schränkte die Arme übereinander und sagte: «Ich habe nichts eingedeckt und decke nichts ab!» Die drei Riesen hoben alsbald die Platten mit grosser Anstrengung und entblössten drei mächtige Metalltöpfe, in denen die Gold- und Silbermünzen funkelten, als ob sie eben erst geprägt worden wären. Wiederum gaben sie ihm zu verstehen, er möchte den ersten der Geldtöpfe heben. Er aber sagte: «Ich habe hier nichts eingestellt und stelle nichts heraus!» Da hoben sie das Gefäss selbst, und als er beim zweiten Topf dieselbe Antwort gab, stellten sie auch diesen Topf heraus. Das dritte Gefäss war so schwer, dass sie es trotz aller Anstrengung nicht herausbrachten. Auf ihr bittendes Deuten hin legte er nun auch Hand an und zog den Topf mit einem gewaltigen Ruck heraus. Als er aufsah, standen drei weissgekleidete Männer vor ihm in natürlicher Grösse, deren Zungen gelöst waren.
«Wir danken dir schön», sagten sie, «wir sind jetzt erlöst. Hättest du uns ein einziges Mal gehorcht, so wärest du von uns getötet worden, und in einigen Jahren wären wir selbst dem ewigen Verderben anheimgefallen, denn wir haben nun schon mehrere hundert Jahre umsonst auf unsere Erlösung geharrt. Das Geld gehört dir, schenke den ersten Topf den Armen, erbaue mit dem zweiten eine Waldkapelle und behalte den dritten und grössten für dich. Und nun geh hinauf und binde den Hund los, denn das ist der leibhaftige Teufel. Hättest du ihn mitziehen lassen, so wären wir alle vier der Töpfe nicht Meister geworden. Vergiss aber nicht, Fenster und Tür zu öffnen, bevor du ihn losbindest, denn er wird so entsetzlich stinken, dass dir darob fast der Atem vergeht.
Die Geister begleiteten ihn noch die Treppe hinauf, öffneten die Tür zum Saal und verschwanden. Der junge Wageheld tat, wie ihm geheissen wurde. Als er den Hund losband, versetzte er der Bestie mit der Stola drei Streiche, so dass sie heulend davon fuhr und so entsetzlichen Gestank zurückliess, dass ihm schien, man halte ihm ein brennendes Schwefelfass unter die Nase. Es schwindelte ihm, und er musste sich am Tische halten. Aber Fenster und Türe waren offen, und so verlor er nur für kurze Zeit die Besinnung. Als er wieder zu sich kam und die Augen rieb, war das Schloss verschwunden. Er stand am Ausgang des Arbenwaldes, und neben ihm lagen die drei Töpfe. Er hatte die Probe bestanden und war frei. Doch fühlte er eine solche Müdigkeit im Kopf und in den Gliedern, dass er sich ins Gras legte und ein Stündchen zu schlafen gedachte. Er musste seine Kräfte wieder sammeln, wenn er den Geldschatz davon tragen wollte. So umschloss er mit dem linken Arm den einen, mit dem rechten den zweiten Topf, und den dritten klemmte er zwischen den Beinen fest, gähnte ein paar Mal und schnarchte sich in ein seliges Schlummerstündchen hinein.
Quelle: Johannes Jegerlehner: Walliser Sagen, Hans Feuz Verlag Bern, 1959
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.