Furchtbar wütete die Seuche in unserer Gegend im Jahre 1629. In der Kirchgemeinde Grabs raffte sie 1109, in Buchs 230 und in Sevelen 380 Menschen dahin, in Wartau über 700. In Grabs wurden an einem Tage 25 Personen begraben. Viele Felder blieben aus Mangel an Leuten unbebaut; ganze Geschlechter starben aus. Zwischen den Pflastersteinen des Stadtplatzes von Werdenberg sproßte Gras hervor; öde und stille war es ringsum.
Täglich kam ein mit zwei Ochsen bespannter Leiterwagen von Grabs her, die Toten zur letzten Ruhe abzuholen. Mit einem langen Stecken schlug der Fuhrmann an die Häuser, um anzufragen, ob man seiner Dienste bedürfe.
Eines Tages fuhr er wie gewöhnlich über den "Resslabühl" und unter dem Rathause durch dem Städtchen zu. Aus dem obersten Hause zur Linken legte man ihm als erste Last zwei Schwestern auf den Wagen, die noch vor wenigen Tagen blühende Jungfrauen gewesen und die nun der Pest zum Opfer gefallen waren. Ihre langen Haarflechten hingen vom Wagen bis auf den Boden herab und schleiften auf der Straße nach.
Heinrich Hilty
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Nach einer andern Aufzeichnung starben im Jahre 1629 in der Herrschaft Werdenberg an der Pest mehr als 1700 Personen, im Jahr 1630 zu Wartau über 700 laut den Aufzeichnungen des Ortsgeistlichen Herkules Tschudi von Glarus.
Man muss sich hüten, die angegebenen Todesfälle doppelt einzurechnen; die einen werden sich überhaupt auf die Epidemie 1629/30 beziehen.
Man fand nicht mehr Leute, die Toten zu begraben. Da liess sich dafür ein alter Mann anwerben, der ein offenes Bein hatte und darum von der Seuche verschont blieb. Dieser soll eine klafterhohe Schichte Leintücher als Begraberlohn erhalten haben. - Eine Familie wohnte in einem einsamen Hause allein. Diese schloss sich ein und vermied jede Zusammenkunft mit andern Menschen; nur von Zeit zu Zeit kam einer auf einen Hügel heraus, um zu erfahren, ob der Tod aufgehört habe. Endlich vernahm er die gute Botschaft, und freudig kamen die Verschonten hervor, um zahlreiche Erbschaften in Empfang zu nehmen. Man teilte die Gerätschaften frohen Herzens; nur um einen Sack Wolle wurde gezankt, der endlich der freigebliebenen Familie zufiel. Und mit dieser Wolle brachten sie die Krankheit in ihr Haus; in kurzer Zeit starben alle.
Ein lediger Bursche flüchtete sich beim Einbrechen der Krankheit über den Augstalberg aus dem Lande. Als er nach langer Zeit zurückkam, hatte der Tod aufgehört; aber der junge Mann zog einen zurückgelassenen Rock an, der ihm den Tod brachte.
Alpenpost 1872.
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Lange Zeit kannten die Leute kein Mittel gegen die Pest. Endlich vernahmen sie eines Abends aus den Lüften den Ruf:
"Esset Knoblauch und Bibernelle,
Dann sterbet ihr nicht so schnelle."
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 95, S. 46f
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.