Der Markenrücker

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Christelis Franz war im Dorf im Wirtshaus gewesen und ging spät in der Nacht heim, wobei er den Fussweg über die Hub wählte, obschon er oft gehört hatte, dass es dort nicht geheuer sei. Er blieb unbehelligt bis in die Nähe seines Hauses; da hörte er durch das Dunkel den unheimlichen Ruf: "Wo soll ich ihn hintun? Wo soll ich ihn hintun?" Franz meinte, man wolle Spass mit ihm machen und antwortete: "Du Narr, wo du ihn genommen hast!" Dem Blitze gleich schoss es heran, und da stand ein schwarzer Mann vor ihm, der eine weisse Zipfelkappe trug. Neben dem Manne stand ein Markstein. Jetzt wusste der späte Wanderer, mit wem er es zu tun hatte. "Alle guten Geister loben Gott, den Herrn," sprach er, "und das erste und das letzte Wort sollen mein sein!" Dann fragte er den Unbekannten, woher er komme; er wollte ihm sogar die Hand reichen, griff aber immer nur in die Luft. Dann sagte jener, er habe zu dieser Stunde einst einen Markstein verrückt und müsse darum wandeln, bis jemand mitleidig den Stein wieder an den richtigen Ort setze. Geschehe das heute, so sei er erlöst, wo nicht, so müsse er weiter wandeln, bis aus einem in dieser Mitternacht hervorkeimenden Tannenschössling eine Wiege entstehe; das Kind, das darin geschaukelt werde, könne ihm wieder helfen, wenn es erwachsen sei. Der Geist hätte den Franz zu Tode reden können, wenn dieser sich nicht das letzte Wort vorbehalten hatte. Die weisse Mütze zeigte an, daß der Arme von seiner Pein befreit werden konnte; darum ging Franz heim, holte Pickel und Schaufel und folgte dem Unheimlichen zu der bezeichneten Stelle. Kaum war der Stein eingesetzt, so verschwand die Erscheinung, und aus den Lüften erscholl Freudengeschrei. Freilich erkrankte Franz bald hernach; aber an sein Sterbebett kam der Erlöste und reichte ihm die Hand, um ihn in das Land des ewigen Friedens hinüberzuführen.
Nach Dr. Henne-Am Rhyn, Deutsche Volkssage


Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 92, S. 43f

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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