Es war einmal zu St. Gallen ein lustiger Spielmann, genannt der Steucheler, und der hat selbst erzählt, was ihm begegnet ist mit Herrn Theophrastus Paracelsus, den er dickmals gesehen und gar gut gekannt hat. Zur selbigen Zeit nämlich hielten unsere Altväter eine große Tagsatzung zu Baden, und an dem Tage, da man wußte, daß die Herren Ehrengesandten der löblichen 13 Stände und der zugewandten Orte sich im großen Herrengarten daselbst ergötzten mit einem trefflichen Bankett, kam von ungefähr der Steucheler zu St, Gallen unter dem Mustertor auf die Brücke, fand daselbst mit andern vornehmen Bürgern den Doktor Theophrastus sitzen, stand grüßend bei den Herren still und sagte: "Jetzt werden unsere hochpreislichen Gesandten zu Baden sich bald verlustieren. War' ich dort, so wollt' ich mit meiner Querpfeife ein gutes Trinkgeld entheben." "Ei, Freund," versetzte der Doktor, "hast du so große Luft zu einem Trinkgeld, so ist dir wohl zu helfen. Geh heim, leg andere Kleider an, nimm deine Pfeife, und komm wieder her, Freund!" - "Wohl", erwiderte der Steucheler. "Ich weiß schon, Herr Theophrastus, daß Ihr ein Gesätzlein mehr singen könnt als andere Leute. Gleich werd' ich wieder zur Stelle sein."
Damit ging der Spielmann eilfertig heim, zog das Sonntagswämschen an, steckte drei bunte Federn auf den Hut, ergriff die Schwegel und war im Hui wieder beim Multertor. "Da bin ich geputzt nun und gestutzt," sprach er zu dem Doktor; "aber das Pferd seh' ich leider nirgends. Oder reut's Euch, gelehrter Herr, was Ihr mir versprochen habt?" - "Das Pferd ist gesattelt und aufgezäumt", versetzte gelassen Theophrastus. "Du findest es draußen bei der Schietzlaube angebunden, wo es bequemer steht als hier. (Die Schießlaube stand vor dem Multertor.) Es ist ein Schimmel, und von behender Art, Sitz auf und schließ fest mit den Knieen; er trabt scharf. Aber keinen Laut mußt du von dir geben, so lange du droben bist; denn sonst wett ich nicht einen Rappen für deinen Hals."
Steucheler geht nach der Schießlaube, findet den Gaul einsam angebunden, schwingt sich auf ihn, gibt ihm eine Hilfe und saust im Nu durch die Luft, daß ihm Hören und Sehen vergeht. Keine zwanzig Minuten jedoch, und der Schimmel läßt sich zwanzig Stunden von St. Gallen, an der Schloßhalde zu Baden stetig nieder, schnauft einen Augenblick aus und ist schon wieder verschwunden, als Steucheler, abgesprungen, sich den Schweiß ordentlich von der Stirne gewischt hat und nach dem Tier sich bedenklich umsehen will.
Er schüttelt den Kopf, trabt schweigend in den Herrengarten, wo die Gäste versammelt sind, stellt sich auf die Bühne der Musikanten und bläst unversehens sein Bestes, daß männiglich sich vergnügt darob. Urplötzlich erkennt ihn der Gesandte von St, Gallen, schlägt verwundert die Hände zusammen und ruft überlaut: "Aber, Steucheler, Steucheler! Bist du da, und bist du es selbst? Welcher Teufel hat dich hergetragen?"- "Ach, Junker", versetzt der Pfeifer, "Ihr fraget wohl recht; denn wenn ich der leibhafte Steucheler bin, so hab' ich auch den leibhaften Teufel geritten!" - Alsbald erzählte er das Weitere, was ihm begegnet sei, und schloß mit einem Faustschlag auf den Tisch: "Aber so wahr Gott lebt, ich will auf solch einem Schimmel meiner Tage nicht wieder reiten!" - Niemand wußte, was denken von der Geschichte; doch trug sie dem Spielmann genug ein, daß er auf den warmen Ritt einen kühlen und reichlichen Trunk setzen konnte,
H. Herzog, Schweizersagen
Quelle: Sagen des Kantons St. Gallen, Jakob Kuoni, St. Gallen 1903, Nr. 5, S. 5ff
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.