Noch vor wenigen Jahren machte man in der alten Curia Raetorum »ins Gemein« früher Feierabend als wir, im Jahre des Heiles 1878. - So ertönte vor der Abenddämmerung die Gebet-Glocke (die sog. Mittags-Glocke), das Zeichen des Feierabends für die im Freien Arbeitenden, und eine Stunde darauf die Stübi-Glocke (die sog. Scaletta- oder Begräbnis-Glocke) je nach der Jahreszeit früher oder später.
(Zur Zeit des Andreas-Marktes (12.-20. Dezember) wurde gar nicht geläutet, weder zum Gebete (Feierabend) noch Stübi.)
Sobald nun ins Gebet geläutet worden, zogen dann die Schüler von der Kantonsschule (jetzt Lehrer-Seminar) aus, in die St. Martinskirche, paarweise, von den Lehrerkandidaten begleitet, deren Einer dann in der Kirche Gebet hielt. (Darum hiess es eben »ins Gebet« läuten.)
Ins Gebet wurde geläutet: vom 1. bis 14. November um 5, vom 15. Nov. bis 14. Jan. um 41/2, vom 15. Jan. bis 14. Febr. um 5, vom 15. Febr. bis Ende Febr. um 51/2, vom 1. bis 15. März um 6, vom 16. März bis 14. April um 61/2, vom 15. April bis 30. Aug. um 7, vom 1. bis 30. Sept. um 61/2, vom 1. bis 14. Okt. um 6, vom 15. bis 31. Okt. um 51/2 Uhr.
Eine Stunde nach dem »Stübi-Läuten« hatte der Nachtwächter, der getreue Hüter der guten, alten, weiland auch Reichsstadt Cur sein Amt anzutreten. Er mass dann richtig, in seinen mächtigen Mantel eingehüllt, mit schwerem Schritte die Strassen durch, - eine schwerfällige, nicht selten behäbige Persönlichkeit; - rief dann pflichtgemäss mit voller Stimme den Ruf, die Stunden und den Morgengruss ab. Alles nach Recht und Schuldigkeit.
Im Winter war die Zeit des Gebet- und Feier-Abend-Läutens um 1/25 Uhr. Eine Stunde darauf, um 1/26 liess die Stübi-Glocke sich hören; und wieder eine Stunde später, um 1/27 war der Nachtwächter »Herr in allen Gassen.« So ward es gehalten in der Zeit der kürzesten Tage des Jahres, von Mitte November bis Mitte Januar.
Je nachdem dann die Tage wieder länger wurden, ward auch »ruckweise« von halb Stunde zu halb Stunde später ins »Gebet und Stübi« geläutet, wie dann auch der Nachtwächter in bestimmter Zeitfolge später sich hören liess.
Wie nun je nach Jahreszeit früher oder später der Nachtwächter »antrat«, und die »Abend wacht« abrief, erfolgte von Stunde zu Stunde das »Zeit-Abrufen«, wie dann nach Mitternacht das »Tag-Anrufen«, und dieses Letztere, auch nach der Jahreszeit, je nachdem es anfing zu tagen, zwischen 2-5 Uhr Morgens.
Die Abendwacht war:
»I tritt wohl uf die Abendwacht;
Gott geb uns Alla'n a guoti Nacht.
Und löschend wohl Für und Liacht;
Dass uns der liabe Gott wohl behüat.
Siebni hät's g'schlaga, das thuani Eu kund.
Gott geb uns Alla'n a guati Stund.«
Die folgenden Stunden (also zwischen dem Antritte bis zum Tag-Anrufen) sagte er an:
»Losat uf, was i will saga:
G'logga, dia hät achti g'schlaga,
Zehl achti.«
(nüni, zechni, ölfi, zwölfi, eis, zwei, drei, vier, fünf.)
Das Anrufen vom Tage war:
»Stönd uf im Namma Jesu Christ,
Der helle Tag vorhanda' ist.
Der helle Tag uns nia verlaat,
Gott geb' uns Alla'n a guata Tag.
A guata Tag, a glückseeligi Stund, -
Das bitt' i Gott vo Herzensgrund.«
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.