Ein junger Closterser hatte nach Holland sich anwerben lassen. - Aber es wollte ihm in Holland nicht gefallen; er konnte seine ferne Heimat, das traute Wiesental mit seinen sonnigen Höfen nicht vergessen - und noch viel weniger vermochte er ein Blümchen aus dem Sinn zu schlagen, das er zu Hause zurückgelassen, sein Liebchen nämlich, deren Bild nie von seiner Seele wich.
So sass er denn auch eines Abends in der dunkelsten Ecke einer Schenke, missmutig und unzufrieden mit seinem Loose. Da trat die Wirtin, eine derbe Holländerin, auf ihn zu, und klopfte vertraulich ihm auf die Achsel: »He, guter Freund, warum so traurig, möchtet wohl wieder einmal s'Schätzlein sehen, nicht wahr? Es befindet sich ganz wohl. Noch vor wenigen Tagen habe ich vor seinem trauten Häuschen in der Laube, die Ihr wohl kennet, ausgeruht.« Der junge Mann schüttelte zweifelnd den Kopf, und konnte aus der Andeutung der Frau Wirtin nicht klug werden. Diese sprach weiter: »Wenn Euch d'ran liegt, s'Schätzchen wieder einmal zu sehen, könnt Ihr diesen Abend mit. - Aber von Fürchten darf keine Rede sein; um neun Uhr wird abgereist; ich erwarte Euch hier.«
Der Soldat konnte die Sache durchaus nicht begreifen, dachte aber doch, »bist ja noch immer da, und fressen wird Die da doch dich nicht,« - nahm Urlaub bis am Morgen, und stellte um neun pünktlich sich ein. In einen dunkeln, faltenreichen Mantel gehüllt, erwartete die »Hexe« ihn. Der matte Strahl einer Laterne liess ihn erkennen, dass sie ein grosses, schwarzes Bocksfell ausbreite, auf welches sie ihn niedersitzen hiess. - Sie schärfte ihm ein, ja keinen Laut zu sprechen, was auch kommen möge, und noch weniger seinem Schatze seine Anwesenheit zu verraten. Dann bestrich sie mit einem kleinen, zierlichen Stöckchen einige Male den Rand des Felles.
Mit einem Rucke erhob das Fell sich, auf welchem die Frau und der Bursche sassen. In rasender Eile gings nun über Berg und Tal, und nach kurzer Fahrt gewahrte der Bursche tief unten die Eiskuppe der Silvretta, das Pardenner-Bödeli, den Lus-Bühl, die Mönch-Alpe, überhaupt lauter bekannte Örtlichkeiten. Im Tale, im schönen Wiesengrunde lag, vom Mondscheine beleuchtet, sein Heimatdörfchen. - Langsam senkte das Fell sich jetzt, und ehe er sich's versah, sass er in der Laube vor dem Hause seines Schatzes.
Mit klopfendem Herzen schaute er in die Stube. - Dort sass am Tische die Mutter, ihren mächtigen »Nasenspiegel«, nach ihrer Art, mit der Linken haltend, mit der Rechten eben den Deckel der grossen Hausbibel aufschlagend. - Sein Schatz sass an der Mutter Seite, und hielt sinnend und träumend den Strickstrumpf in der Hand; wohl mochte sie in diesem Augenblicke Seiner auch gedenken, nicht im Entferntesten ahnend, dass der Liebste so nahe sei.
Schon will er ihren süssen Namen rufen, aber eine unsichtbare Hand ergreift und trägt ihn aufs Fell zurück. - Noch ein Blick - und verschwunden ist Haus und Heimat. Wohlbehalten war er am Morgen in der Kaserne, und konnte rechtzeitig seinen Zimmerrapport abgeben.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.