Nordöstlich der Kirche von St. Carlo bei Puschlav erhebt sich ein gewaltiger Felsblock, der jeden Augenblick herunter zu stürzen droht. Er wird allgemein der Sasso delle Torriglie (Türmchen-Stein) genannt. Dieser Stein soll nicht, wie andere vereinzelte Felsblöcke, durch die diluviale Umgestaltung hierher versetzt worden sein, sondern man schreibt sein Dasein den Hexen zu.
Nicht weit von diesen Steinblöcken lebten in der Vorzeit Feen, welche vom Volke für Hexen gehalten wurden. Sie waren keine menschenfreundliche Dialen, sondern »leidwerchige« (boshafte) Geschöpfe, wohnten aber, wie die Dialen, in Felshöhlen und Klüften. Diese Feen oder Hexen kam eines Tages die Lust an, den am Fusse liegenden Weiler Ravisciè zu zerstören. - Was taten sie!?
Sie gingen hinauf, an den Abhang des Piz Sassalbo, umschlangen mit ihren Schürzenbändern einen mächtigen Felsblock, und zogen ihn damit nach der Stelle, von welcher sie ihn auf den Weiler herunterstürzen wollten. Schon hatten sie, unter höllischem Jauchzen und unendlicher Schadenfreude, den Block auf die bestimmte Anhöhe gebracht, als plötzlich die grosse Glocke von St. Carlo sich hören liess. - Gleich einem Blitzschlag wirkte dieser Schall auf die bösen Feen, und erschreckt und bestürzt riefen sie gegenseitig sich zu: »Haltet, haltet, der grosse Bernhard (Name der grossen Glocke zu Prada) waltet.«
Auf dies hin konnte der Block nicht weiter bewegt werden, und er steht heute eben da zum Wahrzeichen. - Ärgerlich darüber, dass sie in ihrem Vorhaben gestört worden waren, zerstreuten die bösen Feen sich, und zogen in ihre Höhlen sich zurück.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.