Ein Schierser, der sein Vieh auf Rahl, einer »Gadenstatt« (Berggut) oberhalb Fanas zur» Vor-Winterung« hatte, und dort fütterte, vernahm in einer Nacht eine lange Zeit hindurch ein fürchterliches Geschrei im Hofe vor den Ställen. Er wagte aber nicht hinabzugehen, und zu sehen, was es sei, - bis am hellen Morgen. - Da gewahrte er dann zwei Weiberzöpfe an einem Nagel an der Stalltüre hängen, und am Boden lagen ganze Büschel Haare und Hautfetzen umher gestreut.
Es war eine Schaar Hexen gewesen, welche die halbe Nacht hindurch im Hofe sich gezankt und gebalgt hatten, bis schliesslich Eine Derselben ihrer Nebenbuhlerin die Zöpfe ausriss, und Dieselben an die Stalltüre hängte. Aber der Umstand, dass Diese die Zöpfe an einen eisernen Nagel gehängt hatte, benahm der unglücklichen Beraubten die Macht, Dieselben dort wegnehmen zu können.
Der Mann nahm die Zöpfe mit sich heim, nach Schiers. Er war aber kaum eine Stunde zu Hause, so kam seine eigene »Gotte« (Patin), die in Fanas wohnte, zu ihm, mit verbundenem Kopfe und fürchterlich geschwollenem Gesichte, und tat nicht lange fremd, sondern bat ihn, weil er um die Sache wisse, ihr die Zöpfe zu geben. Ohne lange sich zu besinnen, gab er der Gotte die Zöpfe, weil er sie sonst immer gerne gehabt hatte. Die Gotte zog dann aus jedem Zopfe drei Haare, bot ihm Diese, und deutete ihm, so lange er schweige, und diese Haare aufbewahre, werde er in Allem Glück haben.
Er hielt sein Maul, bewahrte das seltsame Geschenk wohl und sicher auf, und hatte wirklich Glück in Allem, sein Leben lang. - Auf dem Todbette drückte ihn aber das Gewissen, er teilte seiner Tochter das Geheimnis mit, und Diese ihrem Manne, und von Stunde an wich das Glück von dieser Familie.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.