In Räzüns lebten vor nicht gar langer Zeit drei Schwestern, von denen die Eine, Nonna (Anna), einen gar ordentlichen Burschen zum »Schatze« (Geliebten) hatte. Dieser Schatz durfte alle Abende mit noch andern Kameraden oder auch alleine zu den drei Schwestern kommen, wie es so bei dem »Jung-Volke« auf dem Lande Sitte und Gebrauch ist, von Alters her. - Nur jeden Donnerstags-Abend durften die Burschen nicht kommen, »da hätten sie zu schaffen,« wehrten die drei Mädchen. Und an jedem Donnerstag-Abende wurden Türen und Fenster mit den Laden verschlossen, und keine von den drei Mädchen kam zum Vorscheine, bis am andern Morgen. Den Geliebten der Nonna nahm endlich doch Wunder, was die Drei immer nur am Donnerstag-Abende so grosse und besondere Arbeit zu verrichten hätten. Er legte zum Zwecke seiner Forschung an einem Donnerstag-Abende eine Leiter an, schaute durch eine Ritze im Laden vor dem Küchenfenster hinein, und sah, wie die drei Schwestern eben zu Nacht assen. –
Er wartete, und vernahm dann, wie Eine sagte: »Jetzt müssen wir gehen.« Auf diese Mahnung hin standen sie auf. Die Eine hob eine Steinplatte vor dem Herde auf, langte ein Fläschlein hervor, goss einige Tropfen des flüssigen Inhaltes in die Handhöhle, und bestrich damit den Besenstiel; ein Gleiches taten die zwei Andern. Nachdem das Fläschlein wieder »versorgt« (an den Ort, wo es aufbewahrt wurde) war, setzten die Drei sich auf Besenstiele, und sprachen: »Jetzt fort.« Im Nu waren sie nicht mehr zu sehen, und der Bursche wusste nun, woran er mit seiner geliebten Nonna und ihren Schwestern war, dass sie nämlich alle drei Hexen seien. Lange besann er sich nicht, machte sich Luft, ins Haus zu schlüpfen, hob in der Küche die Stein platte auf, nahm das Fläschchen heraus, machte Alles genau so, wie die drei Schwestern es gemacht, und sprach dann zuletzt auch: »Jetzt fort.« Gleich den drei Mädchen, flog er durch das Kamin hinauf, hinaus in die Nacht, ohne zu wissen, wohin, bis er endlich vor einem schönen Hause anlangte, in welchem er Lichtschein bemerkte.
Da aber dieses Hauses Türe geschlossen war, klopfte er, worauf eine Frau, zum Fenster herausschauend, nach seinem Begehren fragte. - »Ich will ins Haus,« erwiderte er. Die Frau trat zurück, und beredete sich mit den im Hause Versammelten, kam dann herunter und öffnete ihm. Was er nun zu sehen bekam, war eine grosse Versammlung von lauter Weibsbildern, darunter auch die drei Schwestern, die ihn aber ganz verwundert anschauten, als wollten sie ihn fragen, wie er auch hierher komme. Ohne Säumen wurde nun der Tanz begonnen, und der Bursche machte sich weidlich lustig. Nach einer Weile wurde Nonna's Schatz gefragt, ob die Gesellschaft ihm gefalle. »Ja, warum nicht, ich bin ledig, und da muss es mir wohl gefallen.« »Wenn Du bei uns bleiben willst, musst Du Deinen Namen in dieses Buch einschreiben lassen.« »Ich kann selber schreiben,« entgegnete er. - Aber statt seines Namens schrieb er die Worte: Jesus Christus.
So wie er aber diese Worte geschrieben hatte, stob Alles auseinander, mit der Mahnung: »Sage es keinem Menschen«; und er sah sich plötzlich ganz alleine, und zwar an einem wildfremden Orte, auf einer hohen, steilen Bergkuppe. Neben ihm lag das Buch, in welches er soeben erst den Namen Jesus Christus eingeschrieben hatte. Aber auch viele, viele andere Namen standen in dem Buche verzeichnet, lauter Namen von Weibsbildern, worunter auch die der drei Schwestern. Mit grösster Mühe und Lebensgefahr gelang es ihm, von seinem schwindligen Sitze herunter zu klettern; das Buch nahm er mit sich. - Er kam nun in ein ihm ganz unbekanntes TaI. Die Leute, die er antraf, redeten eine gar sonderbare Sprache, von welcher er kein Sterbenswörtchen zu verstehen vermochte. -
Indessen wurde er aber zu Hause vermisst, und da er immer und immer nicht heimkehrte, für tot gehalten; auch die drei Schwestern wollten nichts von ihm wissen, und so blieb er verschollen, bis er nach - zwei Jahren in der Heimat wieder anlangte. Von dem Erlebten erzählte er Niemandem etwas, als nur dem Herrn Pfarrer, dem er auch das böse, unheilvolle Buch übergab. Der nahm das Buch, und warf es in den Ofen, mit den Worten: »Das habe ich schon lange gewusst; sage es aber fünfzig Jahre lang keinem Menschen.«
Von der Zeit an ging er nie wieder zu den drei Schwestern, und liess seinen Schatz einem Andern. Von der Geschichte, die ihm begegnet, sagte er bis zu seinem Tode aber auch Niemandem Etwas.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.