Vor gar langer Zeit lebte in den Tiejen, einer Alpe oberhalb Langwies. ein altes Männlein, Ciprian genannt. Einsam und einfach war dort oben sein Haushalt, und er kannte nicht grosse Bedürfnisse.
Eines Abends fütterte Ciprian, wie gewohnt, seine Geissen, und Walli, sein grosser Hund, war stets an seiner Seite. Da trat ein grosses Weibsbild zu ihm in den Stall, erschrak aber, als sie Walli erblickte. Sie bedeutete dem Ciprian, dass sie ihm etwas Wichtiges zu sagen habe, er müsse aber zuerst den Hund anbinden, und zwar mit drei Haaren, die sie aus ihrem Zopfe zog und ihm reichte. Ciprian tat, als binde er den Walli an, und die Hexe, welche nun glaubte, der Hund sei angebunden, fiel über den Mann her und wollte ihn töten.
Aber Walli war nicht angebunden, denn Ciprian hatte wohlweislich die drei Haare der Hexe in die Krippe niedergelegt. Die Hexe nahm nun die Flucht, und Walli ihr nach. Er kam erst am dritten Tage wieder, hielt aber Kleider und Hautfetzen der Hexe, die er verfolgte und nach hartem Kampfe zerrissen, in der blutigen Schnauze.
Statt der drei Haare, die die Hexe ihm gegeben, den Walli damit anzubinden, fand er in der Krippe drei starke Kuhketten.
Ciprian machte daheim sein Abenteuer mit dem bösen Weibe bekannt. Man suchte lange nach ihr, bis Ciprian dem Walli die Kleiderfetzen der Hexe zeigte, und Walli, den Wink verstehend, seinem Herrn kund tat, er solle ihm folgen. Walli vor, Ciprian nach, und - erst auf Sträla, dort, beim »Hexen-Tanze«, an einer Stelle, wo das Gras einen grossen Kreis bildet, und viel üppiger spriesset, als sonst weit ringsum, wurde die vom tapfern Walli zerissene Hexe gefunden.
Da nun Niemand Lust hatte, sie zu »heimschen« (anzuerkennen, heimzunehmen), liess man sie liegen, wo sie lag.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.