Zu gewissen Zeiten sieht man, und zwar noch vor Einbruch der Nacht, vom Bodmer her, einen ältlichen Herrn spazieren, und hauptsächlich beim Türle-Garten auf- und abgehen, nicht selten an den Leuten vorbei; er ist aber stets gleich gekleidet, in der Tracht der vorigen Jahrhunderte. Kehrt man sich um, ihm nachzusehen, gewahrt man ihn nicht mehr. Aber Jeder, der ihn sieht, oder ihm begegnet, bekommt ein arg geschwollenes Gesicht.
So ging es vor einigen Jahren einer Waschfrau, welche im Waschhause vom Türlegarten eines Abends noch zu schaffen hatte. Wie die nun, nach getaner Arbeit, vor Mitternacht heimzukehren im Begriffe stand, war ihr, als sie zum Tore hinausging, als gehe der schwarzgekleidete grosse Herr neben ihr vorbei, und hauche sie warm an. - Zu Hause angekommen, legte sie bald sich schlafen.
Am Morgen aber, als die Frau, gegen ihre Gewohnheit, lange nicht »füri« kam (sich zeigte), sah man nach ihr, und fand sie noch schlafend, aber sie hatte einen geschwollenen Kopf, wie eine »Kartone« (Quartane, Maass) gross. - Sie lag stark im Fieber, und nur durch ganz besondere geheime Mittel konnte ihr geholfen werden.
Nun wollen Viele wissen, dieser Herr sei im Leben ein gar arger Geizhals, oder ein Bösewicht gewesen. Andere legen ihm grosse Veruntreuungen zur Last; wie lange noch er aber seine nächtlichen Spaziergänge wiederholen muss, weiss Niemand zu sagen.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.