Das »Juden-Wegli« unterhalb Maladers ist bekannt genug, sonderlich dadurch, weil's dort öfters nicht richtig ist.
Wie noch jetzt auf dem Lande den Schweinen nur zu viel Freiheit gegeben wird, und Dieselben ortsweise ganze Reviere oder Gassen durchstreifen, ohne dass man in der Lebensweise dieser Tiere etwas Besonderes vermutet, hat vor vielen Jahren eine »Färli-Müetter« (Mutterschwein) mit ihren Jungen Baumgärten, Äcker und Wiesen unterhalb Maladers durchstrichen, teils um Feldfrüchte zu suchen, teils auch der Leibesbewegung halber. Diese Färlimüetter durchzog vorzugsweise das erwähnte Juden-Wegli, ihre Jungen immer hinter sich, Eines nach dem Andern, und das so lange, bis die guten Tiere das Schicksal anderer Schweine teilten, d.h. die »Färli« (Ferkel) gross geworden, und die »Müetter« geschlachtet wurde.
Es war nun zu der Zeit in Maladers eine »Ledige«, die bekam ein »Kleines.« Und die ging hin, und vergrub Dasselbe im Juden-Wegli drunten. Das wiederkehrende Mutterschwein stöberte die kleine Leiche auf, und sie und ihre Jungen verzehrten das vergrabene Kind.
Nun kam die Tat balde aus; die »Ledige« wurde zu St. Peter geköpft. Waren nun die Färli-Müetter und ihre Jungen längst nicht mehr, so musste an deren Stelle die Kindsmörderin den gleichen »Strich« gehen, wo Dieselben gegangen. - In eine Färli-Müetter verwandelt, musste diese Ledige das Juden-Wegli besonders, aber auch durch die andern Feldwege streichen, ihr Opfer, in Gestalt eines Ferkels hinter sich.
So streifte sie über hundert Jahre lang Nachts öfters, laut heulend, von Vielen gesehen, die dort vorbeigingen, - bis durch die neue Strasse ein Teil vom Juden-Wegli durchschnitten wurde. Dadurch hat sie Ruhe bekommen.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.