Vom starken Jörg von Praden kennt man den Geschlechtsnamen nicht. Zum Kirchenbau seines Dörfchens oder seiner Heimatgemeinde Praden im Schanviggertale trug er ganz alleine auf seinen Schultern den erforderliehen Sand aus bedeutender Ferne bergauf. Er füllte jedesmal einen Maltersack mit diesem schweren Baumateriale.
Eines Tages wurde Jörg vor den strengen Magistrat der löblichen Stadt Cur zitirt, damit er wegen unbefugtem Holzen sich verantworte. Auf dem Gange nach der Stadt Cur riss er eine kleine Tanne aus, und benutzte die als Spazierstock. Vor dem Rathause in Cur angelangt, stellte er seine Tanne etwas barsch an die Mauer, so dass die Tannzapfen durch das offene Fenster auf den Tisch flogen, an welchem die hoch- und wohlweisen Häupter des Rates mit ihren bepuderten Perücken sassen. - Dann trat er in den Gerichtssaal, und fragte: »Was wollt Ihr?« »Nichts«, antwortete der Herr Bürgermeister, »geht nur wieder heim, Jörg.«
Ein andermal kam ein Türke nach Cur, der durch seine Riesenkraft einen europäischen Ruf erlangt hatte. Der forderte prahlerisch den stärksten Bündner auf, mit ihm einen »Hosen-Lupf« zu machen. Jörg von Praden, der zufällig in der Stadt war, trat mutig auf den Kampfplatz, und schleuderte den Gegner dergestalt zu Boden, dass Derselbe lange Zeit nicht mehr aufstand. Für diese Rettung der Bündner-Ehre erlaubten die Curer ihm, bei einem Mehlhändler unentgeltlich so viel Mehl zu nehmen, als er heimtragen möge. Jörg liess sich nur zwei Maltersäcke mit Mehl füllen, schnürte die Säcke zusammen, und band die Last auf den Rücken. So beladen stieg er ganz gemütlich bergan, nach seinem 11/2 Stunden entfernten Bergdörflein. - Unterwegs bückte er sich zuweilen noch, um am Wege sich bietende Erdbeeren zu pflücken.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.