Der unschuldige Geist
In einem Hause in Closters wohnte einst ein reicher, aber geiziger Bauer, der viele Kapitalien besass. Einige Wochen nach seinem Tode hörte man in dem Zimmer wo er seine Bücher und Schriften gehabt, in der Nacht öfters ein Gekritzel, wie wenn Jemand schreibt, und Viele meinten, der Geizhals müsse auch nach seinem Tode hier sitzen und schreiben, oder Urkunden, die er gefälscht, umschreiben.
Einer, den es doch Wunder nahm, wie es um dieses unheimliche Gekritzel sich verhalte, legte in diesem Zimmer sich zu Bette, und vernahm wirklich nach einiger Zeit das »Schreiben des Geistes«. Er stand auf, zündete das Licht an, sah aber Niemanden, und auch das Schreiben hatte plötzlich aufgehört. Nun suchte er Alles durch, warf Bücher und Schriften und Hausgeräte durcheinander, fand aber Nichts, was einem Geiste ähnlich sein könnte.
Nachdem er vergebens sich abgemüht hatte, den Störefried zu entdecken und ärgerlich darüber, keinen Erfolg gehabt zu haben, wollte er, bevor er zum dritten Male sich lege, zum Schnapse, den er mit sich gebracht hatte, ein Stück Brod essen, das er, wie landesüblich, in der Tisch-»Trucke« (Schublade) zu finden, wähnte.
Mit dem Brode zeigte aber auch zugleich der Geist sich, - eine Maus, die den Weg in die Tisch-Schublade sich gebohrt hatte, und welche das Gekritzel verursacht hatte.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.