»Es war am Abende vor dem Weihnachtstage des Jahres 1620 (zur Zeit der österreichischen Kämpfe in Bünden), als ich bei meinem Gevatter, dem Christen Dysli in Maladers war. Willens, noch heimzugehen, nach St. Peter, musste ich aber bleiben, wegen dem Schneegestöber.« - Besonders der Frau G'vatt'rin Stina (Christine) zu Gehorsam sagte ich ja, im Tobel möchte eine »Gwechte« (gehäufte Schneemasse) sein. - Wir blieben lange auf, und redeten viel vom leidigen Kriege und vom grausamen Baldiron. -
Inzwischen wurde es in der Nacht wieder schön. Das Gestöber hatte aufgehört, es war wieder stille, und der Mond schien helle. Gegen Mitternacht kam noch ein Mann zu uns in die Stube mit der Meldung, man höre vom Dorfe Praden her ein Gemurmel und ein Lärmen wie von einer, in italienischer Sprache sich unterredenden Menschenmenge. - Zuerst hatte man Verdacht, es möchten italienische Bettler, oder Diebe, oder gar der Feind selber sein, die den Versuch machten, aus den, unterhalb dieses Dorfes stehenden Ställen Vieh zu rauben. Auch bemerkte man auf der andern Seite des Tales, zu Praden, um die gleiche Zeit in mehreren Häusern Licht, was sonst zu dieser späten Stunde nie der Fall war. -
Am Morgen früh forschte man nach, ob nicht auch in Maladers Etwas begegnet sein möge, konnte aber nichts erfahren. Das war doch sonderbar, umso mehr, als auch hier in keinem Stalle nicht das Geringste fehlte oder verderbt war. - Gegen Mittag kam ein Pradner nach Maladers, und fragte, was es die letzte Nacht in Maladers gegeben habe; in Praden sei Alles wach gewesen und aufgeblieben, weil man von Maladers her ein sonderbares Murmeln vernommen und in den Häusern Licht gesehen habe. Das war mehr als kurios, und ich blieb in Maladers, weil ich gerne wissen wollte, was das eigentlich auch gewesen sei. - »Aber man kam nicht darauf.« -
»Als aber später (am 11. Mai 1622) Oestreicher beiderseits der Plessur von Cur herauf, das Tal Schanvigg mit Krieg überzogen, plünderten und mordeten, und die meisten Dörfer des Tales den Flammen preisgaben waren es namentlich die Neapolitaner-Soldaten, welche in der Nacht von Praden und Maladers das Vieh stahlen. - Es kam zum Kampfe mit den Bauern beider Orte, und von jeder Part blieb eine Anzahl liegen. - Nun wusste man, was das Gemurmel in welscher Sprache damals zu bedeuten gehabt. Das war das Totenvolk gewesen, das an beiden Orten, zu gleicher Zeit sich hatte hören lassen.« -
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.