Es war zur Zeit, da der Freiherr J.J. Rost auf dem bischöflichen Stuhle von Cur sass, also zwischen 1728 und 1754, ein gewisser Tappeiner von Schlanders damals Hofmeister, ein gar gestrenger Herr.
In der heil. Osterzeit (während dieses Zeitraumes) eines Morgens früh, da es noch dunkel war, wackelte der alte Messmer mit seiner Laterne über den Hof, um zur Frühmesse zu läuten. Beim Eingange in die Kirche (denn damals noch musste man durch die Kirche gehen, um in den Turm zu gelangen, indem die jetzige Eingangstüre in Denselben erst später erstellt wurde) huschte eine dunkle Gestalt an ihm vorüber. Wie er die Kirchen-Türe öffnete, eintrat, und aufschaute, sah er von einer Menge schattenartiger Gestalten sich umgeben, unter denen er mehrere erst jüngst Begrabene erkannte. Entsetzt liess er seine Laterne fallen, und entwich zurück, in sein Kämmerlein. –
Bei Anbruch des Tages entbietet ihn der Hofmeister, der ohnehin Groll gegen den Messmer hatte, zum Bischofe, der ihn erzürnt fragte, warum er nicht zur Frühmesse geläutet habe. Der Alte erzählte ihm von der Erscheinung, doch der Bischof gab ihm kein Gehör, wohl aber einen strengen Verweis, und bedrohte ihn mit schwerer Strafe, wenn er das Läuten je wieder versäumen sollte.
In der zweiten Nacht ging der beängstigte Messmer denselben Weg, schaute diesmal weder rechts, noch links, obgleich gar Manches ihm verdächtig erschien. An allen Gliedern zitternd, tritt er in den Dom ein. Dort schaut er auf, und findet die Kirche »g'steckt voll« (angefüllt mit) Leute, eine gespenstige Gemeinde. Auf der Kanzel aber steht ein schlotterndes Gerippe, das ihm (dem Messmer) die dürren Knochenhände entgegenstreckt. Der Messmer lässt Alles sein, wie es sein will, denn mit Geistern ist nicht gut verkehren, das hat er oft erzählen und sagen gehört. Er stürzt aus der Kirche, und - die Domherren hören abermals kein Läuten zur Frühmesse.
Der Bischof lässt beim Anbruch der dritten Nacht den »Geisterseher« (den Messmer) samt seinem Bette in die Sakristei sperren, damit er ja nicht das Läuten versäume, und auch nicht durch die Kirche gehen müsse. Sollte er aber auch das dritte Mal das Läuten versäumen, werde er ohne Gnade vom Posten gejagt, das wird ihm versichert. –
Aber es hat auch in der dritten Nacht nicht geläutet, und – der Messmer war und blieb verschwunden. Keine Spur war von ihm übrig, nur in der Cripta, unter dem Chorbogen, fanden sich seine Schuhe. – Was er nun in dieser dritten Nacht gesehen oder erlebt, oder was ihm begegnet ist, weiss Niemand.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.