In Val Castiel bei Untervatz, an dem Felsgelände, stehen zwei alte, dicke, hochstämmige Buchen, ganz nahe beieinander. Ihre Blätter sind rot, wie Blut, und am Fusse einer jeden sitzt eine riesige Kröte. - Diese scheusslichen Amphibien mit ihrem platten, runzligen Rücken, aufgeblasenen Seiten und »Tatsch«-Füssen glotzen einander an. Sie strengen sich an, sich zu nähern; ihr Bemühen ist aber vergeblich, sie können nicht vom Flecke weg; wie angenagelt müssen sie auf ihrer Stelle bleiben. - Nähert ein menschlicher Fuss sich ihnen, so dehnen sie furchtbar sich aus, schwellen zu hässlichen, schauererregenden Klumpen an, und schreien dabei ihr scheussliches »Uo, Us«. Von diesen zwei Kröten und den Buchen geht folgende Sage:
Einige hundert Schritte weiter, gegen das Tobel hin, sieht man Spuren ehemaliger Köhlerhaufen. Dort wohnte vor langer, langer Zeit ein Köhler mit seiner jungen, engelschönen Frau. Diese anmutige Evas- Tochter hatte den schwarzen, plumpen Holzbrenner desshalb zur Ehe nehmen müssen, weil sie, als Tochter des Abdeckers, keinen ehrbaren Liebhaber bekommen hätte, indem das Vorurteil gegen ihre Abstammung jeden ordentlichen Freier abhielt, um sie zu werben.
Dort, wo nun die beiden Buchen und Kröten sind, stand zur Zeit des Köhlers ein schmuckes, gut eingerichtetes Häuschen. Darin wohnte ein schöner, schlank gewachsener Mann, der seine fünfunddreissig Lenze zählen mochte; klangvoll war seine Stimme, und einnehmend sein ganzes Wesen.- Man wusste nicht, woher er gekommen, und was er trieb.
Dem Köhler war nun die Nachbarschaft dieses Fremden nicht wohl gelegen, indem er zu seinem Leidwesen inne wurde, dass Derselbe nur desshalb in der Nähe seiner russigen Hütte heimisch sich niedergelassen habe, um sein schönes Weib in Fallstricke zu ziehen, - und, - lange ging es nicht - fand er seinen Argwohn nur zu sehr bestätigt. Doch liess er seinen Ingrimm darüber nicht merken. Die Axt in der russigen Faust schlich er sich in die Wohnung seines Nebenbuhlers, als seine Frau einstens wieder nach dem Dorfe hinunter gegangen war, um Lebensmittel zu holen, und auf dem Rückwege dem Fremden, ihrem Nachbarn, den gewohnten Besuch abzustatten, - und zerschmetterte, Angesichts der Untreue seines Weibes, dem Fremdlinge den Kopf, dann erschlug er auch sie selber. Die Stätte des Fluches brannte er nieder, und warf am Fusse zweier ganz jungen Buchen Gräber auf, in welche er, in das Eine den erschlagenen Fremdling, in das Andere sein, von ihm selbst gemordetes Weib verscharrte; dann stampfte er die, auf den Gräbern aufgehäufte Erde mit dem Fusse fest. -
Von dieser Zeit an färbten sich die Blätter der bei den Buchen blutrot, und zwei ungeheure Kröten legten sich am Fusse ihrer schlanken Stämme breit. -
Nachdem aber in der Folge weder der Fremdling noch die schöne Köhlerin mehr im Dorfe gesehen wurden, zudem auch des Fremden Wohnung abgebrannt war, schöpfte man Verdacht gegen den Köhler. Der wurde eingezogen, und gestand im peinlichen Verhöre Alles, was der Fremdling, sein Weib, und er selber getan. - Das Urteil ward schnell gefallt, er aufs Rad geflochten, sein zerquetschter Leib in Asche verwandelt, und Diese nach den vier Winden ausgesäet. -
Wenn nun in grauser Nacht das schauerliche »Uo, Us« der beiden Kröten und aus einer Höhle in den Felswänden das geisterartige, erschreckende »Hui, Hu« eines riesigen Uhu\'s ertönt, dann sagt und weiss Jedermann: »Das sind die beiden Unglücklichen und der »Kohlen-Joggeli..«
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.