Der böse Geist scheint es hauptsächlich darauf angelegt zu haben, in seinen verderblichen Werken, die er im Bündner-Oberlande zu vollbringen gedachte, die Steine als Hilfsmittel und Werkzeuge seiner schwarzen, unheilvollen Taten zu benutzen, so in VaIs, in Ladir, nach folgender Sage auch in Savien. -
Es gibt weit und breit keine schönere Triften, als die Savier-Alpe Camana; keinerlei Gesträuche überwuchert die Weide, kein Steingerölle entstellt die saftig grünen Matten oder hindert den üppigen Graswuchs, keine steile, gefährliche Halde findet sich in ihren Grenzen, wohl aber manch eben liegender Weideplatz mit den »melchsten« (duftigsten, ergiebigsten) Kräutern. Kein Wunder, da Hirte und Herden alljährlich mit Sehnsucht immer wieder nach der Camana ziehen, mit Wehmut aber der Alp-Entladung oder der »Talfahrt- entgegensehen. Nicht nur war Camana ihrer grossen Vorzüge wegen ein Gegenstand des Neides von den Bewohnern der Berge und Talschaften ringsum, sondern selber der Böse gedachte, den Saviern die Freude an ihrem Alpenjuwele zu verderben.
Zur Erreichung seines Zweckes machte er sich denn auch an die Arbeit, band eines Tages im Rheinwaldtale viele gewaltige Felsblöcke mit einem ungeheuer dicken Seile, das er natürlich selber verfertigt hatte, zusammen, um sie nach Savien hinüber zu tragen, um dort die blumenreiche Alpe damit zu übersäen. Glücklich war er mit seiner Bürde über den Löchli-Berg, welcher Rheinwald von Savien trennt, herüber gekommen, und bereits schon in der Alpe Theuri, nicht weit von Camana, angelangt, als die Glocken von der Kirche am Platze ihre eherne Stimme erschallen liessen, und die Töne auch an Satanas Gehörorgan bemerkbar sich machten. Es war eben am Johannes-Tage, 24. Juni, und zu Johanni Gedächtnis (des Kirchen-Patrones der Einwohner am Platze) wurden die Glocken geläutet. - An diesen Umstand hatte Satanas nicht gedacht. Durch dieses Läuten aber riss das Seil, die Felsblöcke stoben auseinander und fielen auf die Erde herab, ehe sie am Orte ihrer Bestimmung angelangt waren. Der Böse aber, unwillig, auch hier seinen Zweck nicht erreicht zu haben, machte sich eilig davon, auf Nimmerwiederkehr. -
Auf der Alpe Theuri (Theurig, Tscheurig), die eben ihren Namen von »schurig« (schauerlich) haben solle, sind wirklich sehr viele Steinblöcke, die vielleicht durch einen ehemaligen Gletscher dahin gebracht worden waren. - Sie ist mit Steinen gleichsam übersäet. Da nun in der Nähe keine verwitterten oder verwitterbaren Felsen, von denen die Steinblöcke sich ablösen, vorhanden sind, so suchte die Volksphantasie die auffallende und geologisch merkwürdige Erscheinung und Tatsache auf diese Weise sich zu erklären. -
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.