Es wird in Puschlav von einer ganz besonders berüchtigten Hexe erzählt, welche, bald in eine Katze, bald in eine Ziege, bald in einen Bären verwandelt, viel Unheil stiftete. So erschien sie oft in Gestalt eines Bären am linken Ufer des Poschiavino. Die Jäger eilten herbei, den vermeintlichen Feind ihrer Herden zu erlegen. Ihre sonst bewährten Büchsen versagten jedoch immer, dann richtete sich der unheimliche Bär auf den Hinterfüssen empor und verspottete die ungeschickten Schützen durch allerlei drollige Gebärden. Endlich fand sich aber ein Jäger, der im Rufe stand, etwas mehr zu wissen, als alle übrigen Menschenkinder. Dieser legte mit geheimnissvoller Miene einige »Brodbrosmen« auf die Zündpfanne. - Der Schuss ging los, und der Bär zog sich, Blutspuren hinter sich lassend, hinkend in den Wald zurück. Da die Hexe nach diesem Vorgange längere Zeit ihr Haus nicht verliess, wussten die Jäger und viele Andere, was sie von diesem Bären zu denken hatten.
Als das Übermass ihrer Übeltaten voll war, geriet diese Hexe in die Hände des Richters. Es wurden viele schwere Anklagen gegen sie vorgebracht; allein der »Bollo« (Teufelsmal), womit der Satan die in seinen Dienst Getretenen bezeichnete, konnte nirgends an ihrem Leibe entdeckt werden. - Da versteckte sich der Gerichtsdiener in die Nähe der finstern Hexenkammer, wartete bis dass die aus dem Verhöre zurückkehrende Hexe in Dieselbe zurückgeführt wurde, dann gab er sich mit verstellter, hohler Stimme für den Bösen selbst aus, versprach der Gefangenen seinen Beistand, und sagte ihr im Laufe des Gespräches, er erinnere sich nicht mehr recht, wo er sie gezeichnet habe. - Die arme Hexe liess sich täuschen, und gab an, wo der »Bollo« sich befinde. Der Gerichtsdiener eilte mit der Kunde »brühwarrn. in den Gerichtssaal. - Der »Bollo« fand sich vor, war aber kaum mehr sichtbar. - Nun war der Prozess spruchreif: die Hexe wurde Zum Tod verurteilt.
Auf dem Richtplatze erschienen zum Entsetzen der Zuschauer neben dem Kopfe der Hexe plötzlich noch zwei andere, gleiche Köpfe, einer auf der rechten, der andere auf der linken Seite. Der verblüffte Scharfrichter, der sein Schwert bereits gezogen, wendete sich mit der Frage, welchen von den drei Köpfen er abschlagen solle, an den Podesta. Der fragte den anwesenden Geistlichen, und dieser Letztere gab den Rat: »den mittelsten« vom Rumpfe zu trennen. - So geschah es. - Was aus den zwei andern Köpfen geworden ist, meldet die Sage nicht. - Als Tatsache wird jedoch erzählt, das Haus, welches die Hexe bewohnt hatte, sei drei Male abgebrannt.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.