An einem schönen Spätherbsttage ging der Jäger A. von Langwies mit einem Kameraden auf die Jagd; auf einer Bergwiese kamen sie mit zwei Handwerksgenossen zusammen. Diese Viere setzten sich zusammen auf einen grossen Stein und unterhielten sich eine Zeit lang. - Bald aber erblickten sie auf dem hohen Felsen oberhalb ihnen eine schöne Gemse grasen und wurden einig, sich zu trennen, um Dieselbe zu erbeuten; die Einen sollten den Felsen auf der rechten, die Andern auf der linken Seite ersteigen, und Denen, welche den Felsen zuerst erstiegen hätten, sollte dann die Gemse angehören! -
A. und sein Genosse hatten bereits eine steile Halde erstiegen und bald die Gemse in Sicht, als sie plötzlich nicht mehr weiter vorwärts schreiten konnten. Sie merkten gleich, dass sie von den zwei Andern »gestellt« worden seien. A., dem das »sich lösen können« bekannt war, hatte die fremden Jäger im gerechten Verdachte. - Er zog in Satan\'s Namen die Schuhe aus, seinem Genossen befehlend, ein Gleiches zu tun, und alsbald konnten sie wieder weiter.
A. »stellte« nun auch die zwei andern Jäger, erreichte mit seinem Kameraden die Felsspitze, erlegte die Gemse und trug Dieselbe in eine Hütte am Fusse des Felsens hinab. Eben wollten sie durch die Branntweinflasche und den Inhalt ihres Ränzels ein Gutes sich tun, als auch die zwei Widersacher sich »gelöst« hatten und unter die Türe der Hütte traten. Einer Derselben feuerte einen Schuss auf A. ab.
Der aber besass auch die Kunst, die »Kugel von sich abzuwenden« und so ging der Schuss fehl. A. und sein Genosse erhoben sich rasch, um mit dem Missetäter sich zu messen. - Obgleich sie Diesem mehrere Wunden beibrachten, wollte kein Blut fliessen, bis dass der fremde verwundete Jäger und sein Genosse ausserhalb der Hütte unter freiem Himmel standen; erst dann zeigte sich die Wirkung des Schusses. - Die hatten es also verstanden, sogar das Blut zu »stellen«,
Die fremden Jäger zogen den Kürzeren und machten sich auf und davon.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.