Die Geister im Scalära-Tobel

Land: Schweiz
Kategorie: Schwank

Wer nicht an Geister glauben will,

Soll nach Sealära gehen;

Dort hat der Teufel oft sein Spiel,

Dort kann er Geister sehen.

Gespenstige Gestalten

In diesem Tobel walten. –

 

Hu! Hu! Wie weht's so schauerlich

Im öden Steingeklüfte!

Zerriss'ne Felsen heben sich

Dort ringsum in die Lüfte,

Und düst're, schwarze Tannen

An Felsen einsam hangen. –

 

Man hört im toten Felsgestein

Nur Wasser tobend brausen,

Der scheuen Eule nächtlich Schrei'n,

Der Winde stöhnend Sausen,

Der Steine donnernd Fallen

In dumpfem Wiederhallen.

 

Ja wahrlich, wer den Schauder liebt,

Kann dort noch bessern finden,

Als je es in Romanen gibt,

Und gratis ihn empfinden;

Dort kann man deutlich sehen

Die Haar' zu Berge stehen.

 

Denn liebe Leut', noch oben d'rein

Ist's dorten nicht geheuer;

Nach alten Sagen soll dort sein

Das Curer Fegefeuer.

Wer Recht nicht tut im Leben,

Muss sich dorthin begeben.

 

Kaum liegt dann so ein armer Thor

Im Grabe tot, so bannen

Zwei Kapuziner ihn hervor

Und führen ihn von dannen.

Dem Geist zu beiden Seiten

Sie nach dem Tobel schreiten.

 

Von jeder Zunft, von jedem Amt',

Wie sie auch Namen führen,

Sind Einige dorthin verdammt,

Die sie repräsentieren.

Ja, leise darf man sagen,

Man sah auch Pfarrerskragen.

 

Nun sieht man oft im Mondenschein

Sie an den Felsenwänden,

Der Eine hält, ein Freund vom Wein,

Ein leeres Glas in Händen;

Tut traurig es begucken,

Weil nichts mehr d'rinn zu schlucken.

 

Man sah auch Herr'n der Obrigkeit

Sich ab die Finger beissen,

Weil sie gebrochen ihren Eid,

Und stückweis' weg sie schmeissen;

Doch kann ich Nichts beweisen,

Weiss nicht, wie sie geheissen.

 

Ein And'rer an den Fingern zählt,

Und trägt auf seinem Rücken

Den Armen abgepresstes Geld,

Es will ihn fast erdrücken.

Ein Schneider, unverholen,

Schleppt Tuch, das er gestohlen.

 

Ein Bäcker wiegt beständig Brod,

Er wollt' zuviel einst sparen,

Jetzt fehlet immer ihm ein Loth,

D'rurn kratzt er in den Haaren.

Ein Müller sitzt auf Säcken

Und möchte sie verstecken.

 

Ein Anderer muss blätterweis'

Ein Kartenspiel verzehren.

Man sieht ihn an der magern Speis'

Die Augen stark verkehren,

Denn sein verwöhnter Magen

Kann sie nicht gut vertragen.

 

Dann sieht man auch, man glaubt es blos,

Dort alte Advokaten

Auf einem hohen Aktenstoss

Die eig'nen Zungen braten,

Die sie sich ausgeschnitten,

Weil sie zu viel gestritten.

 

Ein Gerber hat erschrecklich heiss,

Er muss bedeutend schwitzen;

Um dann mit seinem sauren Schweiss

Das Leder anzuspritzen.

Die Lederhändler müssen

Ihm helfen, es begiessen.

 

»Hilf mir, o heiliger Martin!«

Hört einen Wirt man schreien;

»Ich kam zu oft einst zu dir hin,

Das muss ich jetzt bereuen.

Hilf mir das Wasser saufen,

Das ich gebraucht zum Taufen.«

 

Ein Metzger muss zu seinem Fluch

Mit sich die Waage führen,

Statt Ochsenfleisch im Metzgerbuch

Oft Kuhfleisch korrigieren. -

Nun aber sind auch Frauen

An diesem Ort zu schauen.

 

Man sah vor wenig Wochen blos,

Dass Frauen auf den Tannen,

Geschmückt, ein Hündchen auf dem Schooss,

Mit grossem Eifer spannen,

Weil sie sich nicht im Leben

Mit Spinnen abgegeben.

 

Und And're reinigen vom Schlamm

Das Tobel mit dem Besen;

Und And're auf bemoostem Stamm

Romanenbücher lesen;

Und Andere berichten

Verläumdende Geschichten.

 

Wie schon gesagt, hält jeder Stand

Sich dort Repräsentanten;

Besonders sind dann noch bekannt:

Goldschmiede, Negotianten,

Viel Wirte, Schuster, Färber

Und arge Frauensperber. –

 

Zuweilen kommt die Geisterschar

Um Mittnernach zusammen,

Und zieh’n zu Rosse, Paar an Paar,

(Die Rosse schnauben Flammen)

Zum Rheine, in die Fluten

Zu löschen ihre Gluten.

 

Der Letzte von der Reiterei

Ein ledig Pferdchen führet,

Und frägt man ihn, wozu es sei,

So spricht er: »Es verlieret

Bald Der und Der das Leben,

Dem wird es dann gegeben.«

 

Wann in der Nacht des Sankt Crispin

So würzig sind die Lüfte,

Dann zieh'n sie auch zum Rheine hin

Und saugen ein die Düfte,

Die bis zu ihnen dringen,

Und lassen Gläser klingen.

 

Sie denken an die alte Zeit,

Die, ach, für sie verloren,

Und klagen sich ihr Herzeleid,

Und geben dann die Sporen,

Und, hurra, hopp geht's weiter,

Und Funken sprüh'n die Reiter.

 

Mitunter gibt's auch einen Ball

 Im Winter auf dem Eise,

Sie tanzen ohne Klang und Schall,

Man sieht sie still und leise

Im Menuett sich drehen,

Den Walzer sie verschmähen.

 

Geschmolz'ner« Schwefel wird serviert,

Die Sterne sind die Lichter,

Der Schwarze selber dirigirt. –

Die bleichen Grabgesichter

Der Männer und der Frauen

Sind grausenhaft zu schauen.

 

Wer etwa das nicht glauben will,

Was eben ich berichte,

Und sagt, es sei ein leeres Spiel,

Erlogen die Geschichte,

Soll die von Trimis fragen,

Die können es ihm sagen.

 

Die werden im Nachhausegeh'n

Oft durch den Spuck gestöret.

Sie hören, was kein Aug' geseh'n

Seh'n, was kein Ohr gehöret! -

Was in kein Herz gekommen,

Das haben sie vernommen. –

 

Was aber mich am meisten quält

Bei diesen Geistersachen,

Ist, dass auf jene Tobelwelt

Auch Beisäss Anspruch machen,

Das ist zu unbescheiden,

Kein Bürger darf das leiden.

 

Die schlechten Beisäss kommen all'

Direkte in die Hölle,

Es wäre ein zu grosser Schwall

Für jene kleine Stelle.

Nur Curer sind so nobel

Zu kommen in das Tobel.

 

Es ist ihr Privilegium,

Das G'meingut ihrer Geister,

Nur sie rumoren dort herum,

Dort spielen sie die Meister .

Und diesen alten Glauben

Soll mir kein Beisäss rauben.

 

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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