Auf der Rosenburg wohnte ein finsterer, harter Ritter mit seiner engelgleichen Tochter. Diese liebte einen Hirten ihres Vaters, und bald verstanden die jungen Leute sich. Der Hirte weidete der Burg gegenüber die Herde, und blies auf dem Alpenhorn seine Sehnsucht und seinen Gruss hinüber; das Fräulein lauschte so gerne den Tönen. Am Abende aber, wenn der Hirte heimkehrte, legte er einen Strauss frischer Blumen in eine Nische im Felsen, wo die Jungfrau sie holte. Lange Zeit ging ihre Liebe nicht weiter.
Endlich wagten sie, sich zu sprechen, und da belauschte eines Tages der Ritter das glücklich sich wähnende Paar. Der liess nun den Jüngling in schwere Ketten legen und in das Verliess der Burg stürzen; die Tochter aber führte er am Tage darauf nach einem andern Schlosse hin, um sie dort zeitlebens einzusperren. Unten im Tobel begegnete ihnen ein zottiger Bär; die Pferde wurden scheu und sprengten in die tiefe Waldschlucht hinab. - Das Fräulein ward nicht wieder gesehen. -
Jahre lang hernach starb im Kloster Catzis eine Nonne, die erzählte vor ihrem Tode, dass sie das unglückliche Mädchen sei, und wie sie durch ein Wunder vom Sturze in das Tobel gerettet wurde, ihr Vater aber in den Wildbach hinabstürzte, und wie sie dann im Kloster Aufnahme gefunden habe. Sie hatte öfters ihre väterliche Burg »Rosenburg« genannt, und dieser Name verblieb fortan den Ruinen. -
Der Ritter, ihr Vater, soll nun alle Jahre ein Mal, zur Zeit der Frohnfasten. in dunkler Nacht, auf feurigem Rosse um die Trümmer seiner Burg herumreiten, dann reitet er erst langsam von der Burg weg, hierauf schnell und immer schneller, bis dorthin, wo die Pferde über die gähe Felswand in den grausen Abgrund gestürzt.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.