Hoch Rialt, du stolzes Schloss,
Das auf grauem Bergkoloss.
Hinten im Domleschger- Tale
Aufsteigt aus der grünen Schaale,
Du bist nimmer!
Schutt und Trümmer
Krönen jetzt das Felsenhaupt, das kahle. -
Ei, wie anders war es dort,
Als verhasst um Raub und Mord
Auf der Burg Herr Cuno hauste,
Hoch zu Rosse niedersauste,
Pilger schreckte,
Nachbarn neckte
Und der armen Bauern Fell zerzauste.
Cuno traf die schönste Maid
Tief in Waldes Einsamkeit;
Ungerührt vom Fleh\'n der Armen
Riss er sie mit starken Armen
Auf die Mähre:
»Kind, begehre
Von dem Hohenrätier kein Erbarmen.«
Lachend stachelt er sein Ross,
Ritt auf nächstem Weg zumSchloss;
Doch ein Wild\'rer hinter Tannen
Sah die Untat des Tyrannen –
Und zur Stunde
Flog die Kunde
In\'s Domleschg und weit umher von dannen.
Hatten Freiheit, Hab\' und Gut
Von des Ritters Uebermuth
Sich die unterdrückten Sassen
Ungeduldig rauben lassen,
Schien\'s angegen
In den trägen
Trüben Herzen Feuer jetzt zu fassen.
Allwärts hin die Kunde scholl,
Und von Stund\' zu Stunde schwoll
Der Empörung schaurig\' Wogen;
Brände flammten, Boten flogen,
Schwerter klirrten,
Pfeile schwirrten -
Und bald war das Vorwerk überzogen. –
Zaghaft weicht der Knechte Tross:
Näher rauscht der Sturm dem Schloss,
Hurtig baut sich eine Brücke,
Dass die Schaar hinüberrücke –
Welch\' Gedränge!
Sieh\' die Menge
Wälzt sich schon durch Tor und Mauerlücke
In den Hof! Mit blankem Schwert
Hält der Ritter da, zu Pferd,
Fest im Arm die holde Beute,
Und wie wild der Rappe scheute! –
Eines Schwunges,
Eines Sprunges
Schnellt er an den Rand der Felsenseite. –
Unten stürzt der junge Rhein
Durch geborstenes Gestein,
Weissen Schaum zu Tage schwitzend,
Silbern durch das Dunkel blitzend,
Und mit Tosen
Fessellosen
Gischt hoch an die Felsenwände spritzend. –
Und der Ritter, hoch zu Pferd,
Deutet mit dem blanken Schwert
In des Abgrund\'s Rabenschwärze;
Und des Halbmond\'s bleiche Kerze
Leuchtet milde
Ob dem Bilde,
Kalt und starr, als wie aus Stein und Erz. –
Doch der Ruf: »Die Maid ist tot!
Denkt an ihre letzte Not!
Rächt sie, da sie nicht zu retten,
Und zerreisst des Drängers Ketten!«
Schallt betäubend,
Vorwärts treibend,
Bis sie den Tyrann ergriffen hätten.
Einer streckt schon keck die Faust
Nach dem Zügel aus, da saust
Mitten durch der Strahl des Schwertes
Und das Glied vom Arme fallt.
Und in Gleichem
Spornt die Weichen
Der Gewalt\'ge seines schwarzen Pferdes. –
Und es bäumt sich, stöhnt und bebt;
Doch des Ritters Ferse gräbt
Stachelnd sich ins Eingeweide;
Hauend hilft des Schwertes Schneide…
Der Bedräute,
Seine Beute -
In den Abgrund fahren alle Beide. –
Los bricht des Entsetzens Schrei,
Und die Menge dringt herbei,
Und erklimmt der Brüstung Rippe,
Unten hängt an einer Klippe
Eine blanke
Blüthenranke,
Oben ein Gebet an jeder Lippe. –
Doch zum Fluche wird das Fleh\'n!
Bald - wie Trauerfahnen weh\'n
Schwarze Wolken aus den Lucken;
Rote Flammenzungen zucken
Durch\'s Gequalme
Und wie Halme
Müssen sich die stolzen Giebel ducken. –
Krachend stürzt der alte Bau
Und ein wüstes, dunkles Grau
Legt sich um die Mauerkrone.
Doch das Volk, im Jubeltone
Stolzer Wonne,
Grüsst die Sonne
Junger Freiheit, die da steigt zu Throne. –
Aber Er, der Zwingherr, muss
Nach des ew\'gen Richters Schluss,
Nachts, ein Herold der Verwüstung,
In der schwarzen Eisenrüstung,
Knisternd, glühend,
Funken sprühend
Reiten um der Burg zerfall\'ne Brüstung.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.