Im alten Schlosse sitzen und tafeln in später Nacht
Die düstern und wilden Gesellen, auf Fehde und Übel bedacht;
Sie schwingen die goldnen Humpen, es schäumt der alte Wein,
Es schallen vermessene Lieder in die grausige Nacht hinein.
Sie sind so fröhlich immer, so trunken und voll Lust,
Als wär ihr Herz, das stolze, sich keiner Schuld bewusst!
Und doch sind ihre Schwerter befleckt mit Blut und Schmach,
Und folgt doch ihren Tritten der Fluch der Waisen nach.
Denn Nichts ist ihnen heilig, sie zerreissen frecher Hand,
Was Fleiss und Sorgfalt baute, was Lieb und Eintracht band.
Sie schleudern blutige Fackeln in friedliche Hütten zumal,
Und freuen sich des Jammers und sinnen auf neue Qual.
Und während sie zechen und singen, da klingts so dumpf und so bang,
Wie Geisterlaut, tief unten, und schwerer Ketten Klang;
Das ist der Greis im Kerker, der hat sich aufgerafft,
Der nimmt, eh er vollendet, zusammen die letzte Kraft.
Der ringt die hagern Hände, gen Himmel auf er schaut,
Streift ab die schweren Ketten und ruft mit dumpfem Laut:
»Fluch euch, ihr grimmen Würger, die ihr im goldnen Wein
Von Unschuld wollt und Sünde die Hände waschen rein. –
Die ihr durch freche Lieder die Angst zu scheuchen sucht,
Gott kennet eure Werke, so arg und so verflucht!
Weh euch, bald wird er kommen, der schwere Sühnungstag,
Wo die gerechte Strafe, euch Sündern, werden mag. –
Ich führt ein freies Leben am freien, eignen Herd,
Im trauten Kreis der Meinen, geliebet und geehrt;
Wohl durft ich Ruhe gönnen der altersmüden Hand,
Die sonst das Schwert geführet fürs teure Vaterland. –
Mein Loos hat euch missfallen, ihr risst mit frechem Mut
Mir Haus und Hof darnieder und kühltet eure Wut;
Ihr warft mich in den Kerker, so düster und so bang,
Da muss ich schmachten und modern viel schwere Jahre lang. –
Weh euch, weh euch, ihr Argen! Euch trifft die Rache doch!
Mein Leid ist heut zu Ende, gebrochen dann mein Joch;
Mir tagt ein besser Leben, euch aber folgt die Schmach,
Es folget euern Werken des Himmels Strafe nach.« -
Also der Greis. - Entschwunden ist seine letzte Kraft,
Sein Geist hat sich entschwungen der trüben Kerkerhaft ...
Da wird es plötzlich helle, zum Tag erbleicht die Nacht;
Horch wie der Sturmwind brauset und wie der Donner kracht.
Verschollen sind die Lieder, verhallt der Becherklang,
Die Blitze zischen nieder, die Berge dröhnen bang,
Die Erde ist geborsten, verschlinget Wald und Flur:
Der goldne Morgen findet vom Schlosse keine Spur.
Da, wo es einst gestanden, da liegt auf grüner Höh
Inmitten duftger Matten, der stille, tote See,
Bei farbevollem Leben ein dunkles Leichentuch,
Drauf ruht seit jenen Zeiten des Himmels schwerer Fluch.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.