Glarus und Bünden hatten sich einstens entzweit, und es erhob sich zwischen ihnen oft Zank und Reiberei. Da sammelten sich die Glarner und unternahmen einen Raubzug gegen die Bündner. Sie kamen auf den Flimser-Stein, wo sie die Sennen in die siedende Milch warfen; nur Einer derselben konnte sich retten. - Als die Glarner das Vieh zusammengetrieben und mit demselben sich entfernt hatten, kroch er aus seinem Verstecke, in das er sich gerettet, hervor, stieg auf eine hohe Tanne und blies in sein Horn:
»Trubina! Trubina!
s Landammas die bru Chua
Mit der grossa Schälla
Und Alls goht
Vorna duri
Dem Glarnerland zua.
Ih guga, ih guga;
Mi Guga verspringt.
Gott Vater, Gott Suhn
Zum Himmel mi bringt.«
Der Senne blies so heftig in sein Horn, dass er versprang und von der Tanne herabfiel. Sein Blut rieselte wie ein Bächlein am Flimser-Steine herunter, und so entstand jener rote Streifen an demselben. Trubina, die in Flims wohnte, die Geliebte des Sennen war, und den Mahnruf desselben vernommen hatte, machte die Dorfbewohner schnell mit der schrecklichen Kunde vertraut.
Die Flimser jagten den Feinden nach und ereilten Dieselben im ersten Dorfe, wo die Räuber über der Grenze im Wirtshause sassen, indes diese das Vieh in einem Baumgarten zum Verkaufe angebunden hatten, zechten und, so lange sie das Geläute der Glocken und Schellen hörten, an keine Gefahr dachten. Als sie aber aus dem Wirtshause kamen, fanden sie im Baumgarten nur noch einen Stier, den die Bündner zurückgelassen. Diese hatten nämlich allem Vieh Glocken und Schellen abgenommen, diesem Stiere angehängt und auf diese Weise die Glarner getäuscht, aber ihr Vieh gerettet.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.