Am westlichen Abhange des Davoser-Schwarzhornes trägt eine Gegend, nicht umsonst, den Namen die »tote Alpe«; dies ist die schauerlichste Einöde, die sich finden lässt. Die ganze Gemarkung trägt kaum einige Grashalme, die im Serpentingestein kümmerlich ihre Nahrung finden können. Auch vom Tale aus gesehen macht dieses verödete Revier einen bemühenden Eindruck und sticht zu grell ab gegen die benachbarten blühenden Alptriften.
Der Sage nach war die »todte Alpe« vor Zeiten eine der fruchtbarsten und gesegnetsten Alpen weit umher. In ihrem ganzen Umfange sprossten die milchreichsten Kräuter, und die klarsten Quellen entsprangen in ihrem Boden. Der Reichtum an Molken, die auf dieser Alp gewonnen wurden, war seit Jahrhunderten schon bekannt.
Zu einer Zeit war dieser Alpenhang von einer jungen Sennerin bewohnt, die eines Sonntags Nachmittag zu Tal stieg, um an einem Tanze Teil zu nehmen. Wie dem Glücklichen keine Stunde schlägt, dachte auch unsere Sennerin nicht daran, von der Gesellschaft sich zu trennen, um auf die Alpe zurückzukehren, und doch war die Zeit längst da, wo die Kühe des Melkens harrten. Wohl gemahnte sie die Pflicht, der Leichtsinn hielt sie aber wieder ab, sie blieb, und verfluchte die gesegnete Alpe mit ihren Kräutern zur Hölle, sodass Schauder und Entsetzen alle Anwesenden ergriff.
Die gottlose Verwünschung sollte alsbald in Erfüllung gehen: Fortan wuchs kein frisches Gras mehr auf der ganzen Alpe. Diese wurde nachgerade zur Einöde, wie sie es heule noch ist.
In Wahrheit aber ist es der hier zu Tage tretende Serpentin, der in seiner Verwitterung nicht in erdige Masse, sondern in scherbenartige Stückehen zerfällt, worin keine Pflanze entstehen noch gedeihen kann.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.