Wenn der Wanderer an der Nordseite des Bernina-Bergpasses hinuntersteigt, wird etwa eine halbe Stunde unter der Passhöhe, an der Mündung des Val Minore, eine Stelle gezeigt, welche Curtinatsch heisst. Auch hier weiss die, von altem Gemäuer unterstützte Volkssage etwas von einem untergegangenen Dörflein zu melden. Es sollen Bergknappen dort gewohnt haben.
(Dass die Eingeweide der Bernina-Gruppe Silbererze bergen, die einst ausgebeutet wurden, ist historisch bewiesen. - Eine steile Halde in der Nordseite, in der Nähe der Gallerie, in welcher noch alte Stollen vorhanden sind, führt noch jetzt den bezeichnenden Namen Argentèra [Silberhalde].)
In Curtinatsch nun stand wahrscheinlich, nachdem auf der Höhe der Wald ausgerottet worden war, ein Schmelzofen, bei dem auch die Knappen ihre Wohnungen aufgeschlagen haben mögen. - Als aber auch dort kein Wald mehr vorhanden war, musste, wohl aus diesem Grunde, das Dörflein verlassen werden. Die Schmelze wurde dann vielleicht nach Pisciadella verlegt, dessen Name von »Pisce« abgeleitet wird, der in einem Dokumente als »Pächter« figuriert.
Die Volkssage aber schreibt das Verschwinden des Dörfleins Curtinatsch einem göttlichen Strafgerichte zu: »Die Knappen«, meldet sie, »haben sehr viel Geld verdient, und desshalb in Saus und Braus ein böses Leben geführt. Als aber das Maass ihrer Sünden voll gewesen, sei das Dörflein untergegangen, auf welche Weise wird nicht gesagt.«
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.