Vor langer Zeit kam ferne her ein Fremder von ritterlichem Anstande und geheimnisvollem Wesen, Namens Bareto. Verbannt von der Heimat, suchte er eine Zuflucht in der stillen Alpenwelt und wohnte sich in einer Höhle ein, welche in der Nähe der jetzigen Stutz-Alpe liegt und noch heutzutage »Bareto-Balma« genannt wird. Ihn begleiteten Selvretta und Vereina, seine beiden Töchter.
Das Volk erkannte bald in Bareto einen Zauberer und fürchtete seinen düstern Blick und seine geheimen Künste. Die beiden schönen Jungfrauen wurden von Allen verehrt und geliebt, und ihr Erscheinen brachte überallhin Glück und Segen.
So ging es lange; endlich starb Bareto. Seine Töchter gruben in der Höhle, in der sie wohnten, ein Grab, betteten den Vater in frisch gepflückte Blumen und begruben ihn dort. Dann kehrte Selvretta über die Gebirge in ihre Heimat zurück; Vereina blieb noch kurze Zelt, geheimnisvoll Berge und Täler durchstreifend. - Zuletzt ward sie gesehen, wie sie auf einer Felsenspitze stand, von der aus man weit hinabsieht in\'s Prätigau; sie streckte segnend ihre Hände gegen die Täler und rief: »Glückliches Volk, ich schenke dir das zum ewigen freien Eigentum.« Dann verschwand sie und folgte ihrer Schwester.
Ihr nach werden die Alpen genannt, über welche sie der südlichen Heimat zueilte; ihr Name lebt fort in den Alpen des obern Tales der Lanquart und in dem des hohen Gebirgsstockes, dessen schneeglänzende Firnen mit in das Tal herabschauen, rein wie die Jungfrau, deren Namen sie tragen.
Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.