Der Fuchs von Fulun

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Am Eingange des Tales Lavinuoz, wo der Fluss gleichen Namens zwischen den hochemporragenden Felsen kaum einen Ausgang finden kann, um brausend mit dem Inn sich zu vereinen, findet sich eine grosse Höhle, welche den Raubtieren zur Zufluchtsstätte dient. In dieser Höhle soll vor Zeiten auch ein Fuchs sein Lager aufgeschlagen haben, welcher nächtlicher Weile nach Lavin schlich, um dem Geflügel Besuch abzustatten. Die guten Laviner, die ihre Hühner lieber selber verspeisen wollten, als sie dem Meister Pfiffikus zu gönnen, gerieten oft in Verzweiflung und konnten seiner nicht habhaft werden, obgleich er oft selbst am Tage herausfordernd von Stall zu Stall spazierte, und bei seinem Raube ganz gemächlich verfuhr. Die Jäger im Dorfe legten vergebens auf ihn an aber das Blei tat ihm keinen Schaden und gelegte Fallen roch er von Weitem, warf auch zum Schabernack Holzstücke in dieselben, dass sie zuklappten: So ging\'s lange Zeit.

Endlich gab ein Montafuner, der pfiffiger als andere Menschenkinder und im Hexenfangen besonders bewandert war, den Rat, die »Ledigen« sollen sich der Reihe nach aufstellen an einem Dorf-Ende, so müsse der Fuchs bei ihnen vorbei, und auf diese Weise könne man sehen, wo er seinen »Schluff« habe; das Töten sei dann aber noch eine andere Sache. Die »Ledigen« stellten sich richtig auf, aber am »Ietzen« Ende des Dorfes; der Fuchs kam nicht. Sie stellten sich wieder auf am andern Dorf-Ende; jetzt kam er, und nun wusste man wenigstens die Richtung, wo er hinzog. - Das nächste Mal verlängerten die Burschen die Kette noch mehr, und diesmal konnte man das Quartier des Hühnerliebhabers ausfindig machen. Der Mutigste ging in die Höhle, bemerkte den Fuchs, der auf den Hinterbeinen stand, und wollte eben auf ihn schiessen, als er keinen Fuchs mehr sah, wohl aber ein altes Weib in einer weissen Schürze, einer weissen Haube auf dem Kopfe und einem Stocke in der Hand. Der Jäger erschrak über dieses Weib und flüchtete, die Andern ihm nach, und der Fuchs konnte seine Visiten ungestört fortsetzen. Alles war in grosser Angst; man wusste sich nicht zu raten und zu helfen; der Montafuner war inzwischen weiters gegangen und somit nicht mehr zu beraten.

Auf einmal blieb der Fuchs aus, und für immer verschwunden. - Aber vor jedem Unwetter soll man in der Höhle ein Winseln vernehmen, gleich dem Weinen eines kleinen Kindes.

Quelle: Volksthümliches aus Graubünden, D. Jecklin, vollständige Neuauflage, Berlin 2014

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

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