Es war einmal ein Mann, der hatte eine Frau, die jedem Bettler, der an der Tür anklopfte, eine Münze oder zwei. Das gefiel dem Mann gar nicht. Am liebsten hätte er die Münzen für sich selbst behalten, obwohl es ihm doch an nichts fehlte, und deshalb stritten sie oft.
Einmal legte der Mann Geld beiseite und sagte zu seiner Frau: «Davon darfst du nichts weggeben, das ist für den langen Januar.»
Die Frau wunderte sich, denn sie kannte niemanden, der so hiess. Als sie aber die grosse Menge Geld sah, dachte sie bei sich: «Das muss ein besonders armer Kerl sein, dass mein Mann so viel Geld für ihn beiseite legt.»
So kam der Winter und das neue Jahr hatte kaum begonnen, als ein Bettler vor der Tür stand. Es war ein langer, grosser Mann in zerrissenen Kleidern. Die Frau schaute ihn an und dachte: «Das muss der lange Januar sein». Sie holte das viele Geld hervor, drückte es dem erstaunten Bettler in die Hand und der ging überglücklich damit davon.
Als ihr Mann nach Hause kam, konnte sie es kaum erwarten, ihm die gute Neuigkeit zu erzählen. «Der lange Januar war hier», sagte sie, «und ich habe ihm das ganze Geld gegeben.»
Als der Mann verstand, was geschehen war, wurde er schrecklich wütend: «Du dumme Frau! Weisst du denn nicht, dass ich mit dem langen Januar den kalten Monat mit den vielen Tagen meinte, wo man doch jede Münze brauchen kann? Jetzt haben wir gar nichts mehr und müssen womöglich selbst betteln gehen!»
In seiner Wut verliess er das Haus und stapfte durch den Schnee davon.
Er lief durch das Dorf, da sah er eine Frau vor ihrem Haus stehen, die Nüsse aus einem Korb durch das Fenster des Speichers warf.
«Was machst du da?», fragte der Mann.
«Die Nüsse müssen auf den Speicher!», antwortete die Frau.
«Trag sie doch im Korb hinauf!», sagte der Mann, dann ging er kopfschüttelnd weiter.
Nach einiger Zeit sah er eine Frau, die auf dem Schnee lag und das Ohr auf den Boden legte.
«Was tust du hier?», wollte er wissen.
«Ich will hören, ob das Gras schon wächst.»
Kopfschüttelnd ging der Mann weiter und sah einen Mann, der den Schnee wegschaufelte und mit der Schere Gras schnitt.
«Was machst du da?», fragte der Mann
Der andere antwortete: «Ich schneide Gras für meine Ziege».
Kopfschüttelnd lief der Mann noch ein paar Schritte, dann dachte er: Es gibt offenbar noch viel dümmere Menschen als meine Frau. Und zumindest hat sie ein gutes Herz!
Dann drehte er sich um, ging wieder nach Hause und versöhnte sich mit seiner Frau.
Fassung Djamila Jaenike, nach: B.Luyet, Légendes de Svièse, in: Schweiz. Archiv für Volkskunde 1925