Von der berühmten Kapelle, welche in reizvoller Lage oberhalb Tenero unweit von Locarno sich befindet, wird folgende Sage erzählt:
Ein armer Tessiner aus Contra oder Lavertezzo im Verzascatal war nach Rom ausgewandert, hatte sich dort durch Fleiss und Sparsamkeit ein schönes Stück Geld verdient und wollte nun wieder in sein stilles Heimatdorf zurückkehren. Wohlverstanden, solche Auswanderer machten damals den ganzen weiten Weg von Rom bis zum Heimatdorf zu Fuss.
Als er etwa die Hälfte des Weges zurückgelegt hatte, wurde er von Räubern überfallen und ausgeplündert und musste froh sein, mit dem Leben davonzukommen. Seine sauer verdienten Ersparnisse, die Frucht vieler Jahre mühsamer Arbeit, waren verloren, und es blieb dem armen Manne nichts anderes übrig, als wieder nach Rom zurückzukehren und von neuem sein Glück zu versuchen. Also wandte er seine Schritte wieder gegen Rom. Wie er so in Gedanken versunken die Strasse weiterzieht, bemerkt er unterwegs zwei Männer, die in einem Loch, das sie bei einer Mauer gegraben hatten, einige Dinge verstecken. Also wartet er behutsam hinter einem Baum, bis jene zwei Unbekannten sich entfernt haben und nähert sich dann ganz vorsichtig, um nachzusehen, was sie dort verborgen hätten.
Und wie gross ist sein Erstaunen! Er findet in dem Loch unter der Mauer nicht nur alles Geld wieder, das die Räuber ihm gestohlen hatten, sondern noch viel anderes dazu, so dass er mit einemmal reich geworden ist und sogleich den Beschluss fasst, so schnell als möglich heimzukehren.
Auf seiner Wanderung kamen ihm aber oft Bedenken, ob er eigentlich jenes ganze Geld für sich behalten dürfe. Und um sein Gewissen zu beruhigen, geht er zu einem Pfarrer, um sich bei ihm Rat zu holen. Dieser erklärt ihm, dass er angesichts der Lebensgefahr, welche er ausgestanden habe, sehr wohl das gefundene Geld behalten dürfe. Immerhin aber würde er ihm empfehlen, der ersten Kirche, welche er auf seiner Weiterreise antreffe, eine schöne Spende als Dankesopfer zu machen.
Zufrieden und glücklich über diesen Bescheid zog er weiter, seiner geliebten Heimat zu. So oft er aber von weitem einem Kirchturm erblickte, so schloss er halb seine Augen, um die Kirche nicht sehen zu müssen.
Auf diese Weise gelangte er über den Langensee bis nach Locarno und weiter zur Brücke von Tenero, von wo er die Landstrasse verliess und in den schmalen Fussweg einbog, der zu seinem Heimatort Contra führte. Und kaum war er an dem Ort, der «Fraccie» genannt wurde, angekommen, so beschloss er, dort eine Kapelle errichten zu lassen, die diesen Namen bekam, und zwar an der Stelle, wo sich vor alter Zeit schon ein Kirchlein befunden hatte zu Ehren der Maria, die als Wunder wirkend daselbst verehrt wurde.
Auf diese Weise konnte er durch den Bau einer Kapelle in der Heimat seinen Dank für das gefundene Glück bezeugen.
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.