Auf der Alp Valésa in Somvix machten einst die übermütigen Hirten eine Puppe aus Käsmasse und behandelten und hätschelten dieselbe wie ein lebendes Kind. – Als nun die Alpentladung kam und der Tag der Abfahrt ins Thal da war, richtete sich die Puppe plötzlich auf und rief mit unheimlich drohender, befehlender Stimme den erschrockenen Hirten und Sennen zu: »Einer von Euch muss bei mir bleiben, wo nicht, geht's Euch Allen übel.« Begreiflich wollte aber Keiner der Auserkorene sein, und das Loos musste entscheiden. – Der Zurückbleibende nahm schweren Mutes Abschied von seinen Genossen und sah sie mit schrecklicher Ahnung talabwärts ziehen; mit furchtbarem Beben sah er die Puppe an, die ihn, grässlich grinsend, anglotzte und mit den Zähnen fletschte.
Die Sennen waren bereits eine Strecke weit heimwärts gegangen, als der Zusenne bemerkte, dass er sein Taschenmesser in der Alphütte vergessen hatte. Er kehrte zurück, um dasselbe zu holen und ging durch eine Nebentüre in die Hütte, fand aber weder Senne noch Puppe in derselben und wollte durch die vordere Türe wieder den Heimweg antreten. Als er noch einmal umschaute, sah er plötzlich die Puppe, die zu einem Ungeheuer, mit weißer Kappe angetan, herangewachsen war, beschäftigt, die frische Haut des zurückgebliebenen Sennen auf das Hüttendach auszulegen und zu schaben; am Boden lagen große blutige Stücke Fleisch. Er war zum Opfer geworden für die Missetat seiner Genossen an den Gottesgaben. – Der Zusenne mochte aber dem Geschäfte des Ungetüms nicht lange zusehen; er kam schweisstriefend bei den Kameraden an und erzählte das Geschehene. Kaum heimgekehrt, packte ihn ein heftiges Fieber, an dem er lange Zeit krank lag, stets wähnend, die Puppe komme, um auch ihn zu holen.
Quelle: Jecklin, Dietrich, Volkstümliches aus Graubünden. Teil 1, Zürich 1874
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.