Der blaue Schleier mit den goldenen Sternen

Land: Schweiz
Kategorie: Zaubermärchen

Es war einmal eine Prinzessin, sie hieß Flora und war überaus hochmütig. Ihre armen Diener zwang sie dazu, die Teller zu waschen, auch wenn sie sauber waren, und im Garten zu arbeiten, auch wenn es schon Nacht war. Kurz, sie schikanierte sie von früh bis spät.
Eines Tages - sie war schon über zweiundzwanzig - sagte der Vater zu ihr: «Es ist Zeit, dass du heiratest.» Aber sie harte keine Lust dazu. Alle Bewerber, die gekommen waren, jagte sie davon, weil sie keinesfalls heiraten wollte. Da waren tüchtige Könige und Prinzen und alle waren reich. Aber sie wollte keinen. Sie las aus und las aus, bis nur noch drei Bewerber übrig blieben. Einer war Prinz Guglielmo d'Altamura, der zweite Giordano da Torre Fiorita und der dritte Alfredo dei Forti. Der Vater ließ alle drei rufen und sagte zu seiner Tochter: «Hier hast du drei Helden, such den aus, der dir gefällt.»

Sie wählte alle drei aus. Guglielmo d' Altamura ging nach rechts, Giordano da Torre Fiorita in die Mitte und Alfredo dei Forti nach links. Lassen wir jetzt Guglielmo d'Altamura und Alfredo dei Forti und beschäftigen wir uns mit Giordano da Torre Fiorita. Er ging und ging, um den Schleier mit den goldenen Sternen zu suchen, den Prinzessin Flora verlangt hatte. Da kam er auf einen Bergweg. Oben auf dem Gipfel stand ein alter Mann:
«Oh, schöner Prinz, was willst du denn?»
«Oh, mein lieber Alter, ich bin verzweifelt wegen der Prinzessin. Sie will einen Schleier mit goldenen Sternen.» Da sagte der Alte: «Meine Frau ist eine Fee, aber hör auf meinen Rat, die Prinzessin Flora ist nichts für dich.» Inzwischen war seine Frau gekommen. Sie hatte einen Schleier, der zwar schön war - ich schwöre es - aber nicht mit Sternen verziert. Sie gab dem Prinzen drei Nüsse und sagte zu ihm: «Auf halbem Wege wirst du zwei Löwen treffen, dann wirst du die erste Nuss öff­nen. Darin findest du einen Brief. Dann verengt sich der Weg immer mehr, auf der einen Seite ist ein Abgrund und unten ein Feuerfluss. Wenn du aber auf der andern Seite runter fällst, zerkratzest du dich in den Dornen. Du wirst dann die zweite Nuss öffnen und sehen, was pas­siert. Ganz oben wird es noch schlimmer sein und du wirst zwei Adler treffen. Dann wirst du die dritte Nuss öffnen und wieder ein Brieflein finden. Mach alles genau so, wie es im Brieflein steht. Aber ich denke, dass die Prinzessin Flora keine Frau für dich ist.»
Da machte sich Giordano da Torre Fiorita auf den Weg. Er ging und ging, da standen auf einmal zwei Löwen vor ihm mit weit aufgesperrtem Rachen. Uh, uh, uh, brüll­ten sie und wollten ihn verschlingen. Da fiel ihm die Nuss ein, er schlug sie am Boden auf, und ein Brieflein fiel heraus, darin stand geschrieben: «Hab keine Angst, nimm dein Schwert und lass es kreisen, bis den Löwen schwindlig wird und sie davongehen.» So machte er es und wirklich zogen die Löwen ab. Der Prinz steckte sein Schwert wieder ein und ging weiter.

Aber der Weg verengte sich immer mehr und etwa nach fünfhundert Metern sah Giordano rechts den Feuerfluss und links ein schreckliches Tal voller Dornen. Da fiel ihm die zweite Nuss ein. Er öffnete sie und fand ein Brief­lein, darin stand geschrieben: «Geh auf den Knien hin­unter, bete zum heiligen Michael und hab keine Angst.» So machte er es. Da erschien ihm ein Engel, der sagte zu ihm: «Hab keine Angst, komm mit mir.» Sie gingen vor­wärts, vorwärts, vorwärts, bis der Weg wieder normal wurde. Der Prinz war überglücklich und bedankte sich beim heiligen Michael. Das war nämlich der Teufelsweg gewesen, auf der einen Seite das Fegefeuer, auf der andern das Paradies, in das man nur über viele Dornen kommen kann. Der Prinz ging weiter und sah oben auf dem Gipfel ein Schloss, das in der Luft hing. «Oh, Ma­donna, wie soll ich zu diesem Luftschloss kommen?» Er überlegte hin und her. Auf einmal kamen zwei Adler auf ihn zu, um ihn anzugreifen und seine Augen zu zer­kratzen. Da erinnerte er sich an die dritte Nuss. Er öff­nete sie und fand ein Brieflein. Darin stand: «Hab keine Angst, nimm dein Schwert und lass es kreisen, bis die Adler sich beruhigen. Dann werden sie dir helfen.» So machte er es, und wirklich: Die beiden Adler fingen an zu sprechen und beruhigten sich. Sie sagten: «Komm, sitz auf!» Sie hielten sich aneinander fest und er stieg wie auf ein Pferd. Die beiden Adler flogen und flogen bis zum Palast. Oben im Palast hörte er eine Stimme: «Endlich, Giordano, bist du da! Ich bin die Tochter jener Frau, die dir die Nüsse gegeben hat. lch bin hier einge­sperrt wegen der Prinzessin Flora. Ich hätte einen Prin­zen heiraten sollen, aber die Flora hat mich einsperren lassen. Mein Vater und meine Mutter haben mir aber immer gesagt, dass mich eines Tages ein Prinz erlösen wird.»
Sie feierten ein schönes Hochzeitsfest und der Prinz kehrte mit ihr zu seinen Leuten zurück.

Die Prinzessin Flora erfuhr aber davon. Sie wurde so wütend, dass sie eine Menge Diener verhaften ließ. Den Dienern erschien aber ein Engel und sagte zu ihnen: «Habt keine Angst. lch werde immer bei euch sein. Ihr werdet nie Hunger leiden. Ich bin in eurer Nähe.»
Kehren wir aber zu Alfredo dei Forti zurück. Er geht und geht, bis er mitten in einem großen Wald einen Turm sieht. Der war ungeheuer hoch. Ganz oben im höchsten Fenster sah er ein Licht, das aufflackerte und dann wie­der erlosch. Da sagte er zu seinen Dienern: «Wer weiß, was dort oben ist?» Unter seinen Dienern war aber einer, der alles wusste. Er war kein Zauberer, sondern ein Gnom, der über alles Bescheid wusste. Er sagte: «Hab keine Angst. Geh diesen Weg entlang und du wirst eine alte Frau finden, die dir helfen und alles erklären wird.» Und wirklich, er ging und ging und fand eine Alte. Sie war bestimmt älter als hundert und hatte Runzeln und ein hässliches Gesicht. Sie war dabei, einen Strumpf zu stricken. Es war ein langer, ellenlanger Strumpf. Die Alte sagte: «Oh, junger Mann. Wohin gehst du?»
«Ich bin dabei, einen blauen Schleier mit goldenen Ster­nen zu suchen für die Prinzessin Flora.»
«Oh, um Gottes willen! Nein, nein, nein, das ist keine Frau für dich. Seit über hundert Jahren stricke ich an diesem Strumpf. Meine Nichte sitzt in diesem Turm we­gen der Prinzessin Flora. Sie hätte einen Prinzen heira­ten sollen. Aber ihr Bräutigam war in die Prinzessin Flora verliebt. Die hat ihn aber aus Boshaftigkeit um­bringen lassen, weil er ihr den blauen Schleier mit den Sternen nicht bringen konnte. Dann hat Flora meine Nichte in diesen Turm bringen lassen und jedes Jahr versetzt sie Fosca in ein anderes Zimmer. Ich habe gleich angefangen, meinen Strumpf zu stricken, damit meine Nichte eines Tages fliehen kann. Schon seit hundert Jah­ren bin ich am Stricken. Hab keine Angst, ich werde dir helfen. Pass auf, ich lege ein Steinchen unten in den Strumpf. Du kletterst dann in den Turm hinauf mit dem Strumpf. Er ist fast fertig, nur wenig Garn ist noch übrig. Meine Nichte und ich sind immer in Verbindung. Ich habe ein Vögelchen, das jeden Morgen zu mir kommt. Ich gebe ihm Essen mit, es fliegt weg und bringt das Essen meiner Nichte im Turm. Geh mit diesem Vögelchen!»

So machte er es. Er nahm Stein und Strumpf und ging mit dem Vögelchen. Während sie hinauf flogen, löste sich der Strumpf auf. Oben sah er ein schönes Mädchen. Es war mehr tot als lebendig. Seit hundert Jahren war es eingesperrt. Es sagte zu ihm: «Endlich, lieber Prinz, bist du gekommen, um mich zu erlösen. Aber gehen wir jetzt!»
Im Turm gab es aber keine Treppe, er war wie eine Festung angelegt. Die Großmutter, die eine halbe Zauberin war, schlug dreimal mit dem Stock an das Garn, und es verwandelte sich in ein dickes Seil. Das kleine Steinchen wurde zu einer Granitplatte. Und so kamen sie vom Turm herunter. Die Großmutter war überglücklich. Mit ihrem Zauberstock bestellte sie eine zweispännige Kut­sche, und die beiden fuhren zu den Eltern der Braut und feierten ein schönes Hochzeitsfest.

Der Vater der Braut war aber ein entfernter Verwand­ter der Prinzessin Flora. Als diese von der Heirat erfuhr, ließ sie zehn Diener ins Gefängnis werfen. Sie war schon richtig verzweifelt, weil sie sich inzwischen in ihre Be­werber verliebt hatte und es ihr furchtbar Leid tat, dass sie nicht mehr frei waren. Und sie sagte: «Jetzt ist Gug­lielmo d'Altamura schon seit einem Jahr, einem Monat und einem Tag unterwegs. Die andern beiden haben geheiratet, der Teufel soll sie holen. Ich geh jetzt selber auf die Suche nach Guglielmo.»

Vater und Mutter hatten kein Mitleid mit ihr, weil sie ihre Diener in die dunkelsten Gefängnisse gesteckt hatte, die voller Skorpione und anderem Getier waren. «Geh nur, geh», sagten sie, «mach, was du willst!»
Sie nahm sich Pferde, fünfzehn Dienerinnen und drei Diener, die bucklig waren und lahm. Wenn etwas pas­sieren sollte, war es nicht schade um sie.

Sie gingen und gingen bis zu einem Wald. Da hörte sie eine Stimme, die auf Italienisch sagte: «Um Mitternacht, Prinzessin, wirst du ganz alleine in den Wald eintreten. Du wirst sieben Bäume sehen, sieben Treppen hinun­tersteigen und sieben Türen vor dir haben.» Sie erschrak und sagte zu ihren Begleitdamen: «Kommt auch mit, ich habe Angst!» Man hörte uitt uitt - die Eulen, - ulu uluuu - die Käuze -, die im Wald herumgeisterten. Sie hatte große Angst, in diesen Wald zu gehen. Mitternacht ist schließlich nicht heller Tag. Aber trotzdem wagte sie sich mit den Pferden vor. Da hörte sie wieder die Stimme: «Genau um Mitternacht wirst du eintreten, Prinzessin, nur du allein, wenn du den blauen Schleier mit den gol­denen Sternen haben willst. Nur durch deine Tränen wirst du ihn bekommen.» Fast hätte sie auf den Schleier verzichtet. Aber dann ließ sie Begleitdamen und Diener zurück und ging alleine in den Wald.

Sie zählte: «Einer, zwei, drei, vier, fünf, sechs, sieben Bäume.» Da stolperte sie über ein Loch, und die Stimme rief: «Sieben Treppen wirst du hinuntersteigen und sie­ben Türen wirst du finden. Den blauen Schleier wirst du nur bekommen, wenn du willst!» Sie ging weiter, stieg eine Treppe hinunter, die zweite, die dritte, bis sie alle sieben hinter sich hatte. Da kam sie in einen langen Flur, er war lang, lang, ich weiß nicht, wie viele Kilometer. Sie hatte königliche Kleider an, Schühchen mit Absät­zen, sie war elegant und parfümiert. Sie kam zur ersten Tür und klopfte an: Tucch tucch tucch. Eine Alte schaute heraus, sie war hässlich und hatte Runzeln. Sie sagte: «Was willst du, Prinzessin Flora?»
Die Prinzessin antwortete: «Du dreckige Alte, ich will den blauen Schleier mit den goldenen Sternen!»
Da sagte die Alte: «Ach so, du willst den blauen Schleier mit den goldenen Sternen. Du wirst ihn bekommen, aber nur, wenn du arbeitest!» Und - pum pam pum - schlug sie ihr die Türe vor der Nase zu.

Flora ging noch ein Stückchen weiter und öffnete die zweite Tür. Da zeigte sich eine noch grässlichere Alte als die erste. Auch ihr sagte sie, dass sie den blauen Schleier mit den goldenen Sternen wolle.
«Ha, ha, du willst den blauen Schleier, Du Ärmste, du bekommst ihn erst, wenn du arbeitest!» Pampete.

Und so erging es ihr bei allen Türen. Von einer Tür zur andern verging aber immer ein Jahr. So harre sie schon sieben Jahre nichts mehr gegessen und getrunken. Es ist zwar ein Märchen, aber sieben Jahre ohne Essen und Trinken, das ist kein Pappenstiel. Die Kleider der Prin­zessin waren schon ganz schmutzig, sie schleifte sie am Boden nach. Sie hielt sich kaum noch auf den Beinen. Da überlegte sie: «Umkehren vielleicht?» Sie dachte nach und dachte nach.

Da fiel ihr ein, was sie mit den armen Dienern gemacht hatte, und sie sagte: «Vater, Mutter, helft mir!» In dem Moment hörte sie eine Stimme: «Arme Prinzessin, du willst den blauen Schleier. Du wirst ihn nur durch Arbeit bekommen.» Sie schaute sich um, sah aber niemanden. Nur ein Vogel flog davon. Er sang aber nicht, sondern sprach wie ein Mensch. Vor Hunger und Durst war die Prinzessin schon so schwach, dass sie hinfiel und gegen die siebte Tür schlug. Da kam eine Furcht erregende Alte hinaus, mit krummer Nase, Doppelkinn, Falten im Ge­sicht und langen Fingernägeln. Kurz, sie sah aus wie eine Hexe. Sie fragte sie: «Was willst du, Prinzessin Flora?» «Woher weißt du, dass ich Flora heiße?»
«Ah, ich weiß alles, seit hundert Jahren verfolge ich dei­nen Hochmut. Ich weiß auch, was du deinen Dienern und deinen Untertanen zuleide getan hast. Und jetzt kommst du zu mir und willst den blauen Schleier. Komm!»
Und sie führte sie in die Küche. Die war schmutzig, es spottet jeder Beschreibung. Ein schwarzer Kater saß da und fing an zu miauen: Miau, Miau, Miau.
«Hüte dich vor meinem Kater, tu ihm ja nichts zuleide. Wenn du ihn auch nur am Schwanz ziehst, wirst du etwas erleben! Er wird mir alles berichten, er ist nämlich ein Spion. Ich werde jetzt auf eine große Reise gehen und du, liebe Prinzessin, wirst dich umziehen und tun, was ich dir sage!»

Da wurde die Prinzessin wieder vom Hochmut befallen: «Du hässliche Alte. Du meinst wohl, du könntest die Prinzessin Flora so behandeln? Die schönste Prinzessin auf der ganzen Welt!»
Da sagte die Alte: «Also gut, zieh dich jetzt um und fang an zu putzen!» Es war alles voller Spinnweben, eine Ka­tastrophe. Der Boden war dreckig und voller Steine, schlimmer als der übelste Keller. Der Kater war auf den Küchenschrank gesprungen und putzte sich. Seine gel­ben Teufelsaugen funkelten.
Flora vertauschte ihr schönes Kleid mit einem Sackkleid. Uh, wie das stank!
Alles war dreckig, und da begehrte die Prinzessin auf:
«Ich habe doch nicht diesen ganzen Weg zurückgelegt und so viele Jahre Hunger und Durst gelitten, nur um mich von einer alten Schachtel quälen zu lassen!» «Ach so, du Ärmste hast Hunger?»
Und die Alte kniete nieder: «Eure Majestät hat Hunger? Wartet, ich gebe Euch gleich zu essen!»
Und sie brachte ein Brot, das hart war wie Stein, und einen Krug frisches Wasser. Sie gab ihr auch ein Glas und ein Stühlchen, wo sie den Krug abstellen konnte.
«Wenn du genug gegessen und getrunken hast, dann fang an zu putzen. Hol aber alle Spinnweben herunter. Es muss alles glänzen in diesem Haus, hast du gehört. Und wehe, wenn du meinem Kater etwas zuleide tust! Ich geh jetzt auf meine große Reise.»
Die Prinzessin aß und trank gierig. Aber putzen, das konnte sie nicht. Die Alte sagte: «Ciao!» Und die Türe flog zu.
«Du alte Hexe, was glaubst du wohl? Ich soll hier putzen? Warte nur!» Und sie begann, mit dem Besen um sich zu schlagen: Fricch frucch fricch frucch. Tassen und Teller flogen herunter, und alles zerbrach. Die Schüsseln trafen den Kater. «Miau», knurrte der wie ein wildes Tier und floh durch das kleine Katzenloch in der Türe. Da bekam die Prinzessin Angst: «Wo wird dieses Mons­ter hingegangen sein?» Aber dann zerbrach sie weiter Teller und Schüsseln. Eine Katastrophe!

Der Kater war kaum aus der Türe geschlüpft, als auch schon die Alte zurückkam. Sie machte vor der Prinzes­sin Knickse: «Hoheit ist also nicht fähig gewesen zu put­zen! Kommt, kommt. Ich werde Euch jetzt an einen Ort führen, der für Euch geeignet ist. Meine Katze hat Euch belästigt, darum ist es besser, wenn Ihr alleine seid!»

Und sie ging mit ihr die Treppe hinunter. Hinter ihnen aber verschwanden die Treppen, so dass sie nicht mehr hinaufgehen konnten. Als sie sieben Treppen hinter sich gebracht hatten, kamen sie in einen Keller. Der war viel schlimmer als all die Gefängnisse, in die die Prinzessin ihre Diener gesteckt hatte. Es gab ein Steinbett zum Schlafen, die Leintücher waren ganz grob. Als es Nacht wurde, sagte die Alte: «Prinzessin, du wirst sicher gut schlafen. Die Ratten, Mäuse, Skorpione, Schlangen und das Meer werden dir Gesellschaft leisten. Alles, was du deinen Dienern angetan hast, kommt jetzt auf dich zurück. Auch die Eulen, Käuze und Fledermäuse wer­den dich besuchen. Aber fürchte dich nicht!" Die Prinzessin wälzte sich in ihrem Bett hin und her.

Die Alte sagte nur: «Du willst den blauen Schleier. Also schau jetzt, wie du dazu kommst! Dein Hochmut wird bestraft. Früher oder später musste es so kommen!» Die Nacht war schrecklich. Die Mäuse liefen ihr über die Füße, die Läuse krochen im Haar herum. Sie bekam die Strafe, die sie verdiente. Die ganze Nacht sprangen Kröten und Schlangen umher. Und das Meer rauschte, ciuff ciuff. Sie war verzweifelt. Sie drehte sich von einer Seite auf die andere und rief: «Vater, Mutter, helft mir!» Die Alte lachte nur: «Ha, ha, ha. Arme Prinzessin, du tust mir Leid. Aber du hast es ja so gewollt. Dir geschieht nur das, was du andern angetan hast. Schau selber. wie du dich aus der Affäre ziehst!»
«Ich habe Hungert»
«Warte, ich bring dir gleich zu essen!» Und sie brachte ihr steinhartes Brot und einen Krug frisches Wasser. «Das ist Meerwasser. Es ist ein wenig salzig. Aber es wird dir sicher gut tun!»

Die Prinzessin wurde ganz klein und ganz sanft. Der Hochmut fiel ganz schön ein.
Es war schon ziemlich viel Zeit vergangen, und da sagte die Prinzessin: «Großmutter, hab Erbarmen mit mir! Gib mir Arbeit. Ich muss etwas tun.»
Die Alte sagte: «Schlaf jetzt. Morgen werden wir wei­tersehen.»
Und sie nahm den Zauberstab und ließ all die grässli­chen Tiere aus dem Zimmer verschwinden. Dann beru­higte sie auch das Meer. Am Morgen erwachte die Prin­zessin. Durch das Fenster schien die Sonne. Die Alte brachte ihr ein schönes Spinnrad und einen ganzen Bal­len blaue Seide. Dann ging sie wieder. Aber die Prinzes­sin klopfte bald an die Türe.
«Was wünscht Ihr, Hoheit?»
«Ich möchte gerne arbeiten. Aber ich weiß nicht, wie man es anstellt.»
«Du hast nie gearbeitet? Also gut, ich bringe es dir bei!» Und sie zeigte ihr, wie man Seide spinnt. Die Prinzessin spann und spann, viele, viele Meter Seide. Als sie die Arbeit beendet hatte, war der Schleier sicher zwanzig Meter lang. Aber sie sagte: «Jetzt, wo ich den Schleier habe, werde ich sicher nicht mehr heiraten. Ich bin ja hier gefangen.» Sie weinte, und je mehr sie weinte, desto mehr Sterne fielen auf den Schleier. Es ist ein wunder­barer Schleier geworden, voller leuchtender Sterne. Die Prinzessin seufzte: «Was hab ich nur alles angestellt mit meinem Hochmut!» Und sie faltete den Schleier zusam­men und legte ihn in eine Ecke.
Da kam die Alte und sagte: «Ich habe eine Überraschung für dich!» «Eine Überraschung für mich? Jetzt habe ich meinen Schleier, aber sonst kann ich nichts mehr erwarten.» Da ging die Türe auf und Prinz Guglielmo d' Altamura ist erschienen. Er hatte die Prinzessin gesucht und war ihr als Einziger treu geblieben. In einem Wald hatte er die Alte getroffen, und sie hatte ihm weitergeholfen.

Nun zauberte die Alte mit ihrem Zauberstab einen Palast. Sie feierten ein schönes Fest und luden die Alte dazu ein. Flora befreite alle ihre Diener, und von dem Tag an war ihr Hochmut verschwunden und sie wurde eine brave Frau.



Dieses Märchen aus Brusino stellt uns Frau Pia Todorovic Redaelli liebenswürdigerweise aus ihrem Buch "Märchen aus dem Tessin", Limmat Verlag Zürich 2006 zur Verfügung.
Das Buch ist im Handel erhältlich - ISBN 3 85791 501 3

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.

Diese Website nutzt Cookies und andere Technologien, um unser Angebot für Sie laufend zu verbessern und unsere Inhalte auf Ihre Bedürfnisse abzustimmen. Sie können jederzeit einstellen, welche Cookies Sie zulassen wollen. Durch das Schliessen dieser Anzeige werden Cookies aktiviert. Details finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

Cookie Einstellungen

Diese Cookies benötigen wir zwingend, damit die Seite korrekt funktioniert.

Diese Cookies  erhöhen das Nutzererlebnis. Beispielsweise indem getätige Spracheinstellungen gespeichert werden. Wenn Sie diese Cookies nicht zulassen, funktionieren einige dieser Dienste möglicherweise nicht einwandfrei.

Diese Webseite bietet möglicherweise Inhalte oder Funktionalitäten an, die von Drittanbietern eigenverantwortlich zur Verfügung gestellt werden. Diese Drittanbieter können eigene Cookies setzen, z.B. um die Nutzeraktivität zu verfolgen oder ihre Angebote zu personalisieren und zu optimieren.
Das können unter Anderem folgende Cookies sein:
_ga (Google Analytics)
_ga_JW67SKFLRG (Google Analytics)
NID (Google Maps)