Ein junger Königssohn suchte sich an den Nachbarshöfen eine Frau. Am nächsten Hofe schon, wo er erschien, gefiel ihm die schöne Tochter des alten Königs so gut, daß er sie um ihre Hand bat. Sie wies ihn aber ab und sagte, sie begehre keinen Königssohn und gedenke vorläufig nicht zu heiraten. Der Abgewiesene verabschiedete sich, ließ aber den Mut nicht sinken. Er wartete ein Jahr, dann zog er in Bauernkleidern wiederum an den fremden Königshof und hielt um eine Stelle als Stallknecht an. Der König nahm ihn auf, und nun verrichtete er sein Amt während mehreren Jahren mit großer Treue. Die Tochter ging öfters im Garten spazieren, wo es sich traf, daß sie den hübschen Stallknecht oft zu Gesicht bekam. Sie redete ihn an und gewann ihn mit der Zeit sehr lieb. Bald hieß es, der Stallknecht sei ihr Verlobter, und die Tochter bekannte dem Vater auch, daß sie gesonnen sei, ihn zu heiraten. Der Vater verzog sein Gesicht und drohte ihr mit Fortjagen und Enterbung, wenn sie auf ihrem Entschluß beharre. Die Tochter ließ sich nicht einschüchtern und setzte den Hochzeitstag fest. Nach der Hochzeit wurde sie vom Vater verstoßen, und da sie kein Vermögen besaß, mußte sie arbeiten. Der junge Gemahl war guter Dinge und sagte: »Wenn du die Arbeit nicht scheust, so fangen wir eine Wirtschaft an!« Das war ihr recht, und so wurde sie Wirtin. Die Leute tranken gerne ihr Schöpplein bei der jungen schönen Frau, so daß sie die besten Geschäfte machte. Da nahm ihr Mann für einige Tage Urlaub, kehrte in sein Land zurück, zog die Königskleider an und erschien mit großem Gefolge in der Wirtschaft. Die Frau kannte ihn nicht, hatte auch keine Zeit, sich den vornehmen Besuch näher anzusehen, denn da ihr Mann abwesend war, hatte sie genug zu tun mit Aufwarten. Die Gäste schlemmten den ganzen Tag, dann schlugen sie die Gläser und Flaschen in Stücke und machten sich aus dem Staube, ohne nach der Rechnung zu fragen.
Als der Gemahl in seinen Bürgerskleidern wieder unter die Türe trat, fand er die Frau traurig am Tische sitzen. Sie erzählte ihm, was er schon alles wußte, daß sie des Morgens viel Geld verdient, dann sei eine vornehme Gesellschaft erschienen, hätte gepraßt, die letzten Flaschen geleert und dann alles entzwei geschlagen. Der Gemahl stellte sich traurig und sagte, so könne es nicht weiter gehen, sie müßten etwas anderes anfangen. –„Morgen ist Markt und da kaufe ich dir einen Haufen Geschirr, und du fängst einen Geschirrhandel an!« Die Frau war einverstanden, trocknete die Tränen und stellte sich des andern Tages hinter den Geschirrstand. Das Geschäft ging flott, und sie nahm eine schöne Summe Geldes ein. Ihr Mann war auf Verdienst ausgegangen, wie er ihr am Morgen angab, und sie freute sich, ihm des Abends den schönen Erlös zeigen zu können. Da fuhr auf einmal ein zweispänniger Wagen heran und steuerte auf die Kacheln zu. Die Frau wehrte ab: "Höflich, höflich, ihr Fuhrleute, ihr zerbrecht mir ja das Geschirr!« Aber der Wagen fuhr mitten durch den Stand, daß die Scherben links und rechts davon flogen. Des Abends, als der Mann heimkam, erzählte sie ihm mit vergrämter Miene, wie viel Geld sie verdient und wie schlimm der Wagen in ihrem Stand gehaust habe. Da ließ der Mann, der selbst das Fahrzeug geleitet, die Hände in den Schoß fallen und sagte traurig: "Jetzt weiß ich nicht mehr, was ich anstellen soll! Doch, halt, da fällt mir ein, morgen ist in der Nachbarschaft ein Fest, da könntest du hingehen und dich als Aufwärterin antragen. Dann legst du die Resten, die auf den Platten übrig bleiben, in eine Schüssel und diese versteckst du unter der Schürze, dann haben wir für einige Tage ein gutes Essen, das uns nichts kostet!“ Die Frau willigte ein und ging am folgenden Tage in das Dorf, wo ihr die Arbeit zugewiesen wurde. Von jeder Platte, die sie zurücktrug, versteckte sie die Resten unter der Schürze. Als das Mahl zu Ende war, spielte die Musik zum Ball auf. Da bat sie ein vornehmer Herr um einen Tanz. Sie errötete und sagte, sie könne nicht tanzen. Dieser ergriff sie ohne weiteres an der Hand, zog sie fort und drehte sich mit ihr so schnell im Kreise, daß die Wurstzipfel und Fleischrippen unter ihrer Schürze herausflogen und sie sich in den Boden hinein schämte. Sie huschte davon und stahl sich nach Hause, wo sie die bittersten Tränen vergoß.
Am Abend klopfte es an die Türe und herein trat der Königssohn, ihr Gemahl, der sie an sich zog und sagte: „Jetzt hat das Elend ein Ende. Siehst du, den Königssohn hast du verschmäht und den Stallknecht geheiratet. Ich wollte dir nur zeigen, wie bitter die Armut schmeckt. Jetzt aber gehen wir zum Vater und wollen das Leben genießen!“
Quelle: J. Jegerlehner, Sagen und Märchen aus dem Oberwallis, Nr. 138
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.