Nur wenige wissen, wo Alraunen zu finden sind und noch seltener traut sich jemand eine auszugraben. Allein schon der Name wird ungern ausgesprochen, lieber spricht man von einer Kröte, so wie in dieser Geschichte: In Uri lebte einmal ein armer Mann, der hatte ein Haus voller Kinder und konnte sie nie alle satt bekommen. Da traf er einmal auf einen fahrenden Schüler und erzählte ihm von seiner Not. Dieser überlegte und sagte dann: «Geh auf dieser Strasse weiter, bis du einem Mann ganz in lederfarbenen Kleidern begegnest, der wird dir weiterhelfen.»
Der arme Mann befolgte den Rat des fahrenden Schülers und ging weiter den Weg entlang. Er wanderte lange, da begegnete ihm ein kleines Männlein, ganz in lederbrauner Kleidung. Der arme Mann sprach das Männlein an, berichtete ihm alles und sagte: «Nun frage ich dich: hast du einen Rat für mich?»
»Du hast den Richtigen gefragt,« sagte das Männlein. »Siehst du dort diesen Erbselenbusch? Geh dorthin und grabe, dann wirst eine Kröte finden. Nimm sie mit nach Hause und lege ihr ein Geldstück unter, dann wirst du am nächsten Tag jeweils das Doppelte davon finden.»
Der arme Mann bedankte sich und machte sich sogleich daran, unter dem Busch zu graben. Er fand alles so, wie es das Männlein gesagt hatte, trug seinen Fund vorsichtig nach Hause und legte am ersten Tag sein letztes Geldstück darunter. Am anderen Tag waren tatsächlich zwei Geldstücke da. Diese legte er am Abend wieder unter und nun waren es vier. So ging das viele Tage, bis der Mann seine Schulden bezahlt und noch einen guten Batzen Geld beiseitegelegt hatte. Doch dann wurde ihm die Sache langsam unheimlich, und er dachte: «Jetzt ist genug, ich will die Alraune lieber los werden.»
Er nahm sie, ging ein Stück vom Haus weg und warf sie in weitem Bogen fort. «So», sagte er sich, «die bin ich los», und ging zufrieden heim. Als er aber ins Haus trat, was musste er sehen? Die Alraune lag wieder auf ihrem alten Platz. Da nahm er sie wütend, trug sie auf einen Hügel und warf sie zum zweiten Mal weit fort. Doch als er nach Hause kam, fand er die Alraune wieder an ihrem Platz, als wäre nichts geschehen. Er packte sie ein drittes Mal, stieg bis auf einen hohen Berg und warf sie mit aller Kraft in den Abgrund. Aber zu Hause wartete die Alraune schon auf ihn. Voller Verzweiflung erzählte er seiner Frau davon. «Das ist ganz einfach», sagte sie und gab ihm einen Rat. «So mache ich es!», lachte der Mann. Er nahm seinen Geldbeutel, leerte ihn aus, tat die Alraune hinein und band sich den Beutel gut sichtbar an die Hose. Dann ging er auf den Markt. Es dauerte nicht lange, da schnitt ihm ein Langfinger den Beutel von der Hose und machte sich damit auf und davon. Glücklich ging der Mann nach Hause und erzählte seiner Frau: «Stell dir vor, als der Langfinger meinen Geldbeutel stahl, habe ich keinen Mucks gemacht.» So wurde er die Alraune endlich los. Das Geld reichte noch lange und sie mussten nie wieder Not und Hunger leiden,
Aus: Pflanzenmärchen aus aller Welt ©Mutabor Verlag