Einmal ging ein Mann ein Mann in Bulle auf den Markt. Er traf hier einen Freund und dort einen und mit allen stiess er an. Es war schon dunkel, als er sich auf den Heimweg nach Vaulruz machte. Dichter Nebel kam auf, so dass er den Weg kaum fand und es war seltsam still. Kein Käuzchen, keine Maus schien wach zu sein. In Gedanken versunken ging der Mann voran, als er plötzlich ein furchtbares Brüllen hörte, das wie ein Echo viele Male erklang. Es hörte sich an, als hätte ein grosses Tier geschrieen.
„Wer ist da?“ rief der Mann in der Hoffnung, auf einen Bauern zu treffen, der vielleicht seinen Stier vom Markt nach Hause trieb und ebenfalls im Nebel den Heimweg suchte. Doch niemand antwortete. Stattdessen hörte man wieder den wilden Schrei und auf einmal tauchten aus der Dunkelheit zwei grosse, rotglühende Augen auf, die wie Feuer loderten. Der Mann wich zurück, als er erkannte, dass diese riesigen Augen einem gewaltigen Stier gehörten, der alles zermalmte, was ihm im Wege stand. Vor Schreck konnte er sich nicht mehr rühren, wagte kaum zu atmen und dachte, sein letztes Stündlein hätte geschlagen.
In diesem Augenblick läutete in der Ferne eine Glocke die Mitternachtsstunde, und der Stier verschwand mit einem Schrei und einem schrecklichen Röcheln.
Zitternd vor Angst kehrte der Mann um und fand im Morgengrauen den Weg nach Bulle zurück. Dort setzte er sich, schwach und bleich unter die Linde.
Wie jeden Tag versammelten sich an diesem Morgen viele Leute unter der Linde, man erzählte sich vom vergangenen Markt, von guten und schlechten Geschäften. Plötzlich entdeckten sie den Mann, der erschöpft auf dem Boden sass.
„Was ist mit dir geschehen?“, fragten sie.
„Ich bin einem schrecklichen Geisterstier begegnet“, sagte er und erzählte die ganze Geschichte.
Schaudernd hörten die Leute zu und sprachen dann: „Wahrlich, du verdienst den Namen Herkules, dass du diesem Ungeheuer heil entkommen bist!“
Bald wurde von nichts mehr anderem gesprochen als vom umheimlichen Stier. Wer nachts den Weg von Bulle nach Vaulruz gehen wollte, dem erging es nicht anders, als dem tapferen Herkules.
Schliesslich liess man an dieser Stelle eine Kapelle bauen und widmete sie dem heiligen Josef. Von da an erschien der Geisterstier nicht mehr, zumindest hat ihn niemand mehr gesehen.
Die Leute von Bulle aber konnten ihn nicht vergessen. Sie nahmen den Stier in ihr Wappen auf und dort ist er noch heute.
Fassung Djamila Jaenike, nach: „Le Boeuf de Bulle“, aus: J. Genoud, Légendes Fribourgeoises, Fribourg 1892. Aus dem Französischen übersetzt, und neu gefasst unter Mitwirkung von Rita Riedo © Mutabor Märchenstiftung, www.maerchenstiftung.ch