Ein Vater begleitete einst seinen Sohn in die Stadt, um ihn das Schmiedehandwerk erlernen zu lassen. Er führte ihn zu einer Werkstatt, wurde mit dem Meister einig und liess ihn bei ihm in der Lehre. Der Sohn stellte sich an den Amboss; aber jedes Mal, wenn er mit dem Hammer aufs Eisen schlug, hieb er es mit seiner Riesenkraft in Stücke. Der Meister hatte eine Zeitlang Geduld mit ihm. Schließlich aber wurde es ihm zu arg, und er hieß ihn fortgehen. Ehe der Jüngling wegging, wollte er sich einen Wanderstab aus Eisen schmieden. Er nahm also einen Arm voll Eisenstücke, warf sie ins Feuer und ließ sie glühend werden. Dann zog er sie aus dem Ofen und formte daraus einen gewaltigen Stock, mit dem er sich aus dem Staube machte. Auf der Landstraße traf er einen Mann, welcher mächtige Baumstämme mit einer großen Holzkeule mitten entzweischlug.
«Du mußt ordentlich stark sein, dass du mit jener Keule so hantieren kannst», sprach er zu ihm. «Da, versuch einmal meinen Wanderstab zu tragen!»
Der mit der Holzkeule versuchte, den Stock vom Boden aufzuheben; aber er vermochte es nicht. «Komm mit mir in die Welt hinaus!», sagte der mit der Eisenstange, und der Kamerad folgte ihm. Also zogen sie selbander von dannen und gelangten ans Ufer des Meeres. Dort sahen sie einen, der warf schwere Mühlsteine weit in die Wellen hinaus, als wären es Kieselsteine. « Was machst du da?» riefen sie ihn an. «Du musst ziemlich viel Kraft besitzen, um Steine von solchem Gewicht in die Luft hinaus zu werfen. Da, probier einmal, ob du meinen Spazierstock aufzuheben vermagst.» Der mit dem Mühlstein versuchte es; allein er konnte ihn nicht vom Boden aufheben. «Komm du mit uns!» sprachen die zwei Wanderer zu ihm. Der war zufrieden, zog mit ihnen, und alle drei machten sich auf den Weg nach der Stadt. In einer Weinschenke mit einem hübschen Reblaubendach hielten sie Einkehr und vernahmen dort, dass in den umliegenden Bergen ein Palast sei, der einem Zauberer gehöre, und daß alle Leute, die jemals in dieses Schloß hineingerieten, nie mehr von dort zurückgekehrt seien. Da bekamen sie Lust, in die Nähe dieser Burg auf die Jagd zu gehen und den geheimnisvollen Palast zu betreten. Sie gingen also hin und traten in das Schloß, aber es war niemand zu sehen. Da beschloß der mit der Holzkeule, allein dort zu bleiben, um seine auf der Jagd erbeuteten Rebhühner und andere Vögel zu rösten, während die andern nach dem Wirtshaus zurückkehrten.
Wie er nun so am Herdfeuer in der Küche stand und seine Jagdbeute rösten ließ, hörte er ein Getrampel und dann eine Stimme, welche ihn anschrie: «Wer hat dir erlaubt, hier in mein Haus zu kommen und die Vögel zu braten?» Darauf versetzte der mit der Holzkeule dem Zauberer einen so wuchtigen Hieb mit seiner Keule, daß jener vom Kopf bis zu den Füßen erzitterte und schleunigst das Weite suchte.
Als die beiden Kameraden zurückkehrten, fanden sie die erbeuteten Vögel ein wenig angebrannt. «Was hast du gemacht?» fragten sie ihn, «warum hast du sie anbrennen lassen?» «Ach, ich habe Bauchschmerzen bekommen», gab er zur Antwort.
Am folgenden Tage blieb der mit dem Mühlstein im Schloß, und es erging ihm gleich wie dem andern Gefährten. Seine Kameraden kamen zurück und fanden die Vögel wiederum angebrannt. Er gab jedoch zur Ausrede vor: «Ich habe Bauchweh gehabt.» Am dritten Tag blieb der mit der Eisenstange in dem Zauberschloß. Sobald der Magier sich blicken ließ, schmetterte er ihm mit einer so hünenhaften Kraft einen Schlag auf den Rücken, daß sich ihm beinahe das Gesicht nach dem Nacken drehte. Dieses Mal wurde der Zauberer vom Schrecken erfasst und, weil er für sein Leben fürchtete, sprach er zu ihm: «Bring mich nicht um, denn ich will dir alles sagen.» Und damit hieß er ihn mit hinaus in den Garten kommen, zeigte ihm einen Ziehbrunnen und erzählte ihm folgendes: «Da unten in der Tiefe dieser Zisterne wohnen drei Prinzessinnen.
Derjenige, welcher auch nur eine einzige von ihnen befreien und retten kann, wird deren Gemahl werden.»
Als Eisenstab dieses Geheimnis vernahm, brachte er den Zauberer um, der es ihm anvertraut hatte. Darnach wartete er, bis seine beiden Gefährten zurückkamen, stieg in einen Korb, der an einem viele Ellen langen Seil befestigt war, und liess sich in die Tiefe hinunter. Als er endlich unten ankam, fand er dort eine der drei Königstöchter, befreite sie von den Eisenketten und hieß sie in den Korb steigen. Sie schenkte ihm zum Andenken einen Apfel aus reinem Silber. Die Gefährten zogen den Korb empor, hoben die Prinzessin heraus und ließen dann den Korb wieder in die Tiefe gleiten.
Inzwischen suchte Eisenstange in dem geheimnisvollen Gange weiter, fand die zweite Prinzessin und erlöste auch sie. Diese überreichte ihm einen goldenen Apfel als Geschenk. Die Gefährten zogen sie aus dem Ziehbrunnen heraus und ließen dann abermals das Seil in die Tiefe hinab.
Eisenstange forschte mittlerweise weiter und fand auch die dritte Königstochter. Die war schöner als alle andern, und er befreite auch sie. Sie schenkte ihm einen Apfel aus Diamanten. Wieder zogen die Gefährten sie herauf und brachten sie in Sicherheit. Als aber die beiden Spitzbuben die drei Prinzessinnen aus dem tiefen Kerker erlöst hatten, sagten sie zueinander: «Komm, wir wollen ihn drunten lassen und nicht heraufziehen, dann können wir beide allein den großen Gewinn untereinander teilen!» Das taten sie auch.
Darauf geleiteten sie die drei Prinzessinnen zum Königshof. Der König war glücklich, seine vom Zauberer entführten Töchter wieder zu sehen und versprach jedem der beiden Retter eine zur Frau, aber erst nach einem Jahr und einem Tag sollte die Hochzeit stattfinden. Holzkeule sollte die älteste erhalten, Mühlstein die zweite, die jüngste aber sollte unverheiratet bleiben.
Da sprach die älteste zu ihrem Bräutigam: «Willst du mich zur Frau haben, so mußt du mir einen silbernen Apfel schenken, wie der war, den ich unten im Ziehbrunnen besaß.» Und er gab zur Antwort: «So wollen wir zum Goldschmied gehen und einen solchen machen lassen.» Aber der Goldschmied brachte es nie zustande, ihr einen so schönen Apfel herzustellen, wie sie ihn wünschte.
Die zweite Königstochter sprach zu Mühlstein:
«Willst du, daß ich dich heirate, so mußt du mir einen goldenen Apfel geben, wie ich einen drunten in der Zisterne besaß.» Und er antwortete: «Ei, so gehen wir zum Goldschmied, der soll dir einen machen.» Der aber brachte ebenfalls nie einen solchen Apfel fertig, wie sie ihn haben wollte.
Sobald der arme Eisenstab sah, daß der Korb nicht mehr heruntergelassen wurde, um ihn zu retten, begriff er, daß man ihn betrogen hatte. Mit seiner Eisenstange, seiner Riesenkraft und Geduld gelang es ihm jedoch, sich einen unterirdischen Gang zu graben. bis er schließlich nach vieler Mühe ans Tageslicht gelangte. Hierauf machte er sich auf den Weg zum Königsschloß und zeigte dort den Prinzessinnen die drei Äpfel, die er jeweilen zum Geschenk erhalten hatte. Da erkannten sie in ihm ihren wahren Retter und berichteten es sofort ihrem Vater, damit er Gerechtigkeit walten lasse. Der König ließ die beiden Betrüger zur Strafe hinrichten und gab die schönste und jüngste der drei Prinzessinnen dem Erretter Eisenstange zur Gemahlin. Sie feierten ein herrliches Hochzeitsfest und luden dazu alle Leute der ganzen Gegend ein. So hatte der arme Jüngling, der das Schmiedehandwerk erlernen wollte, sein Glück gefunden.
Quelle: Walter Keller, Tessiner Sagen und Volksmärchen, Edition Olms, (Nachdr. d. Ausg. Zürich 1940), 2000.
Märchen erzählt in Rovio von Luigia Carloi-Groppi 1911
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch.