In der Nähe der Stadt Bern wohnte ein Mädchen, dessen Schönheit viel von sich reden machte. Es war so schön und so lieb, dass jeder, der es sah, von ihm ergriffen wurde und es nicht mehr aus den Sinnen lassen konnte. Es hielt sich jedoch von jedem Verkehr ferne.
Eines Tages entschlossen sich einige Burschen, in der Nacht zu ihm zu Kilt zu gehen. Die Nacht war schon ziemlich weit fortgeschritten, und dennoch brannte in der Kammer des Mädchens noch Licht. Ein Bursche hob sich auf die Zehen, um ins Fenster hineinschauen zu können. Da erschrak er über dem, was er drinnen sah. Die andern schauten ebenfalls hinein und konnten sich vor Verwunderung nicht fassen. Auf dem Bett lag das Mädchen totenblass. Jede Farbe war aus seinen Zügen gewichen, und kein Atemzug entrang sich seinem geschlossenen Munde. Und wie die Burschen noch immer auf das Bild, das sich ihnen bot, hinstarrten, kam etwas Schwarzes, Geschmeidiges daher, sprang mit einem Satz durch das Fenster in das Zimmer hinein und verschwand unter dem Bett des Mädchens. Eine schwarze Katze. Und nun färbten sich die Wangen der Schläferin auf einmal mit einem zarten Rot; ein Zucken ging über das vordem starre Antlitz, die Hände bewegten sich, ein langer, tiefer Seufzer hob die Brust.
Die Burschen schlichen so schnell sie konnten davon und mieden von da an jede schwarze Katze, die ihnen nachts begegnete.
Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch