Ein junges Mädchen kannte keine andere Leidenschaft, als von Ball zu Ball zu gehen, in der Hoffnung, doch endlich einen jungen Mann zu finden, der es heiraten würde. Eines Abends stand es wieder vor den Spiegel und schmückte sich zum Tanze. «Bleib doch zu Hause», sagte seine Mutter, die eben das Zimmer betrat, «denn du wirst auch heute keinen Mann finden.» «Und ich gehe dennoch!» rief das Mädchen aus und stampfte mit dem Fuss heftig auf. «Und sollte ich mit dem Teufel tanzen müssen.»
Kaum war die Tänzerin im Tanzsaal angelangt, so trat auch schon ein vornehm aussehender junger Mann auf sie zu und forderte sie in verbindlichen Worten zum Tanze auf. Die ganze Nacht durch gab er die Tochter nicht mehr frei, sondern tanzte jeden Tanz mit ihr. So schön passten die beiden zueinander und so vornehm nahmen sie sich aus, dass alles auf sie aufmerksam wurde und ihnen zuschaute, und schliesslich tanzte niemand mehr als sie. Da sagte auf einmal ein Herr zu den andern: «Schaut doch die Füsse dieses fremden Kavaliers; sie sind nicht wie die anderer Menschen.» Wie ein Lauffeuer verbreitete sich diese Kunde durch den Saal, und jedermann wollte sich selber davon überzeugen.
Hatte der Unbekannte diese Worte gehört? War es ihm peinlich, der Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu sein?
Ein Fenster im Saale stand weit offen. Als sich das tanzende Paar ihm näherte, geschah etwas Sonderbares. Der Tänzer straffte seinen Arm und hob seine Dame in die Luft. Auch er hob seinen Körper. Statt auf dem Boden tanzten beide im Leeren und tanzten immer höher hinauf und zum Fenster hinaus. Entsetzt suchten die Nächststehenden wenigstens das junge Mädchen an den Kleidern zurückzuhalten. Der Tänzer aber hielt seine Tänzerin so fest, dass sie ihnen entrissen wurde. Zum Fenster hinaus, in die kalte, dunkle Nacht wirbelte das Paar. In kurzem war es den Blicken der übrigen verschwunden. Aber aus der Luft drang langsam verhallend ein bitteres Weinen.
Die Mutter des Mädchens wartet noch heute auf die Rückkehr der Unfolgsamen.
Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch