Es war um die Neujahrszeit herum, da legte eine arme Wäscherin Wäsche in die Tröge ein, um sie am folgenden Tage zu waschen. Da hörte sie ein Geräusch, und wie sie aufblickte, gewahrte sie zu ihrem masslosen Erstaunen zwei geharnischte Ritter. «Sei still», sagten die zu ihr, «sonst bist du des Todes. Weisst du denn nicht, dass man um diese Zeit keine grössere Arbeit verrichten darf? Bleib hier, aber schweig über das, was du nun sehen wirst.» Nach diesen Worten nahmen sie an einem Tische Platz. Die arme Frau fing an zu weinen. «Meine Herren», sagte sie zu den Rittern, «was soll ich denn tun? Meine Kinder haben nichts zu essen, wenn ich nicht arbeite.» Da nahm der eine von ihnen sie an der Hand und führte sie in eine Ecke. «Komm morgen gegen Abend hieher», sagte er zu der Frau, «dann wirst du am Boden einen Ring sehen. Den nimm in die Hand und ziehe dran, und ein Deckel wird sich öffnen. Unter diesem liegt dann dein Lohn, den du für dein Schweigen empfängst. Aber wehe dir, wenn du plauderst!»
Dann setzte er sich wieder an den Tisch, zog ein Kartenspiel heraus, und beide fingen an, Karten zu spielen. Und wie sie am Spielen waren, öffnete sich eine Türe, und herein trat eine schöne, junge Dame. Sie schritt dem Fenster zu, setzte sich auf einen Stuhl und fing an, in einem Buche zu lesen. Das Kartenspiel ging immer weiter; sie las immerfort. Kein Wort wurde gewechselt und auch kein Blick. Es mochten etwa zwei Stunden verflossen sein, da legte plötzlich einer der Spieler die Karten auf den Tisch. «Verloren», knirschte der andere und sprang auf. Der erste wurde totenbleich. Und nun sah die Wäscherin zu ihrem namenlosen Entsetzen, wie sich beide der schönen Dame näherten. Die Sinne drohten sie zu verlassen, denn auf einmal packten die Ritter die Dame. Ein furchtbarer Schrei - auf der Strasse ein dumpfer Fall. Sie hatten sie zum Fenster hinausgestürzt. Die Wäscherin eilte zum Fenster - nur schwarze Leere gähnte herauf. Alles blieb still, und auch die Ritter waren verschwunden. Da wurde ihr das Schreckliche klar - um das Leben der schönen Frau hatten sie gespielt!
Als die Wäscherin sich am nächstfolgenden Tage einstellte, so wie der Ritter ihr befohlen hatte, da fand sie unter dem Deckel ein Säckchen goldener Münzen.
Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch