Nur noch alte Leute können sich aus den Erzählungen ihrer Väter erinnern, dass in der Nähe des Bundeshauses, da, wo jetzt geschlossene Häuserreihen die Strassen begrenzen, eine grosse Schmiede stand. Von jeher wurde allerlei über sie gemunkelt, und es gab gewisse Zeiten im Jahr, da man sich scheute, an ihr vorüberzugehen, und wenn die Feuerwärme noch so heimelig die Winterkälte durchdrang und den Schnee vor ihren Toren rötete und die Hammerschläge noch so fröhlich durch die Gassen schallten. Weder die Gesellen noch die Nachbarn kannten das Geheimnis, das sie umgab. Von Zeit zu Zeit lief die Kunde, es habe einer, der an der Schmiede vorübergelaufen sei, einen geschwollenen Kopf davongetragen, der ihn nun längere Zeit ins Bett bannen werde. Und viele wollten zeitweilig aus der Tiefe der Werkstatt ein herzzerreissendes Geschrei vernommen haben.
Es kam die Zeit, da man sich endlich entschliessen musste, das alte, zerfallende Haus niederzulegen und die Schmiede in eine andere, weniger rasch sich bevölkernde Gegend zu verlegen. Was half’s, dass Alte, Bedächtige ihre warnende Stimme erhoben? Nur schwer fand man Männer, die sich an die Arbeit des Abreissens machten, und schwer war es, die, welche sich dazu entschlossen hatten, bei der Arbeit zu halten. Es war, als hätte ein Bann jeden gepackt, der seine Hand an ein Werkzeug legte. Und je näher die Abbrucharbeiten dem Fundament kamen, desto langsamer gingen sie vonstatten.
Man machte sich daran, einige Steinplatten vom Keller zu heben. Da prallten alle zurück. Was war zu sehen?
Nebeneinander, übereinander lagen eine Menge Kinderknochen und Kinderschädel, halb angebrannt, teilweise in Staub zerfallen, Und aus der Tiefe klang ein langgezogener Wehlaut. Wer hatte das Verbrechen an diesen wehrlosen, armen Geschöpfen begangen? Wo waren die Mütter, die sie, kaum geboren, dem Feuertode im Schmiedeofen ausgeliefert hatten?
Man sammelte die Reste, die beim Eindringen der Luft nicht gänzlich zu Staub zerfallen waren, sorgfältig und begrub sie in einem Friedhof. Und mit dem neuen Heim, das an Stelle der alten Schmiede erstand, wich auch das Grauen von diesem Ort.
Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch