Kurz vor Weihnachten war’s, da langte nach beschwerlicher Tageswanderung ein junger Pfarrhelfer in Bern an. Und da es Abend war und er seine Reise ins Oberland erst andern Tages fortsetzen konnte, quartierte man ihn in ein Stübchen des Münsters ein, dessen Fenster gegen die Plattform hinausging. Voll fiel das weisse Licht des Mondes durch die Gitter des Fensters. Da, gegen Mitternacht, war dem Schlafenden, als würde draussen etwas vor sich gehen. Er erhob sich und drückte sein Gesicht an die Fenstergitter. Da sah er, wie vier Geistliche im Ornat ernsten, gemessenen Schrittes sich unter den Bäumen der Plattform ergingen. In einigem Abstand folgten ihnen vier Klosterschwestern. Ernste Fragen mussten es sein, die die geistlichen Herren beschäftigten, denn von Zeit zu Zeit blieben sie, heftig gestikulierend die einen, nachdenklich die Hände auf den Rücken gelegt die andern, stehen. Kein Blatt am Baume bewegte sich, und kein Stein rührte sich unter dem Fusse der Dahinschreitenden. Auch kein Ton wurde laut. Aber als sie an dem Fenster des Münsters vorbeikamen, da wandte einer der Geistlichen den Kopf und gewahrte den jungen Mann, der sie beobachtete. Plötzlich zischten acht Flämmchen auf. Eine bläuliche Wolke schob sich vor den Mond. Aber als sie sich verzogen hatte, lag die Plattform so da, wie sie vordem war. Der Mond überzog die Türmchen und Spitzen des Münsters mit Silber; Silber wob sich über die Blätter der Bäume. Doch von denen, die eben hier gewandelt, zeugte nicht die leiseste Spur.
Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919
Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch