Von Vater Nägeli

Land: Schweiz
Region: Stadt Bern
Kategorie: Sage

Noch immer lebt Vater Nägeli, der Eroberer der Waadt, unter den Bernern. Das wissen viele und versuchen deshalb, ihn zu sehen und, wenn es lose Buben sind, ihn zu necken. Wenn man sich nachts um zwölf Uhr an die Fricktreppe begibt, dann tritt manchmal seine grosse, majestätische Figur aus den Mauern hervor. Wehe dem, der ihn aus seiner Ruhe aufgeschreckt, sei es durch den mutwilligen Ruf: «Vater Nägeli» oder durch ein lautes Pfeifen. Der spürt auf einmal eine schallende Ohrfeige auf seiner Wange, die sich noch lange durch eine Geschwulst, die fünf Finger zeigt, verrät.

Einstmals aber entschlossen sich zwei Frauen, sich an ihn als einen Freund zu wenden. Die Not war bei ihnen so gross geworden, dass sie keinen anderen Ausweg wussten. Man hatte ihnen einstmals gesagt, Vater Nägeli verfüge über viel Geld. Nachts zwölf Uhr stellten sie sich bei der Fricktreppe hin. Ihre Knie zitterten vor Angst; sie hielten sich an der Hand, um sich gegenseitig Mut zu machen. «Vater Nägeli!» riefen sie mehrere Male mit zitternder Stimme. Lange gaben nur die Wände das Echo zurück. Wäre das Elend zu Hause nicht so gross gewesen und hätten sie einen anderen Ausweg gewusst, sie hätten ihr Vorhaben schon lange aufgegeben. «Vater Nägeli!» riefen sie abwechslungsweise. Da öffnete sich plötzlich eine Mauer, und aus ihr trat eine grosse, helle Gestalt hervor. «Was wollt ihr?» fragte eine mürrische Stimme. Da fasste eine der Frauen all ihren Mut zusammen und erzählte dem Manne ihr beider Unglück. «Geht nur wieder heim», erwiderte darauf die Stimme. Wie aber die Frauen hinschauten, sahen sie, dass die Gestalt dunkler und dunkler wurde und schliesslich ganz verschwand.

Als die Frauen in ihre Stuben zurückkehrten, brannte auf dem Tisch ein helles Licht. Ein Haufen Gold lag daneben, zusammen mit einem grossen Brot. Und wiewohl die Frauen jeden Tag etwas von dem Gold nahmen, blieb doch immer noch etwas von dem Haufen zurück.

 

Aus: Hedwig Correvon, Gespenstergeschichten aus Bern, Langnau 1919

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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