Das schreiende Bächlein

Land: Schweiz
Kategorie: Sage

Am Ostabhang des Oberlaubhorns stand in uralter Zeit eine Hütte, in der eine arme Familie wohnte. Da waren Vater, Mutter und ein Mädchen und nun kam noch ein Brüderchen hinzu. Allein dies war ihnen zu viel, und die Mutter war zu faul, es zu gaumen. Da beratschlagten die Eltern, wie sie es beseitigen könnten, und sie kamen überein, es zu schlachten. Der Vater tötete es, die Mutter sott es und alle drei assen es auf. Die Knochen wurden vergraben.

‏Allein wenn man an der Hütte vorbeiging, hörte man aus der Erde Geschrei und Gewinsel. Die Knochen heulten:

‏D's Muetterli het mi trage,

‏Der Atteli het mi g'schlage,

‏Und d's Schwesterli het mi g'nage.

‏Da gingen einst argwöhnische Bauern hin und gruben. Die Knochen kamen zum Vorschein, und als das eben hinzutretende Schwesterchen diese berührte, fingen sie an zu bluten.

‏Die Bauern verliessen erschrocken den Ort. Die Grube ist noch heute zu sehen, und seit jener Stunde fliesst Wasser daraus. Es ist das schreiende Bächlein, das ganz besonders im Herbst schauererregend ins Tal heult.

 

Aus: P. Keckeis, M. Waibel, Sagen der Schweiz. Bern, Zürich 1986 

Eingelesen von der Mutabor Märchenstiftung auf www.maerchenstiftung.ch

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